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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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Beförderung gebracht, wusstest du das? Wenn er gedurft hätte, hätte er euch zu Brei geschlagen. Es kann immer noch passieren, dass er euch verhaften lässt – die Angelegenheiten im Innenministerium sind kompliziert. Ihr sitzt in meinem Hause wie auf dem Präsentierteller. Darum müsst ihr morgen fort. Und nicht zu euch nach Hause. Das würden sie auch rauskriegen.«
    »Fort?«, fragte ich, zu Tode erschrocken und noch wütender als zuvor. »Und nicht nach Hause? Wo sollen wir denn hin, wo Mama so krank ist?«
    Er sagte bloß: »Ich weiß, dass ihr eure Kontakte habt.«
    Agnes Hummel. Natürlich. Ich fragte mich, warum sie mir nicht sofort eingefallen war. »Ja, es gibt jemanden«, sagte ich voller Hass. »Wenn sie noch lebt.«
    »Wo wäre das?« Er trommelte mit den Fingern auf den Löschblock.
    »In Dahlem.« Genauer wollte er es bestimmt gar nicht wissen, und ich wäre auch nicht bereit gewesen, ihm mehr zu sagen.
    Er wirkte erleichtert, als wären seine Probleme damit gelöst. »Brettmann wird euch morgen vor Sonnenaufgang hinbringen. Besser, solange es dunkel ist. Ich gebe euch Geld mit …«
    Ich unterbrach ihn. »Vielleicht steht das Haus gar nicht mehr. Aber das wäre dir ja wohl egal, Hauptsache, du bist uns los.«
    Er stieß einen schweren Seufzer aus. »Jenny«, sagte er. »Begreif doch, ich möchte lediglich verhindern, dass die Gestapo euren Aufenthaltsort erfährt. Das ist nur zu eurem Besten. Wenn diese Person nicht auffindbar ist, könnt ihr selbstverständlich zurückkommen. Dann lassen wir uns etwas anderes einfallen.«
    »Oh«, sagte ich mit einer Stimme, in die ich allen Sarkasmus legte, dessen ich fähig war. »Tut mir leid, ich hätte wissen müssen, dass du deine Investition schützt.«
    Er öffnete den Mund zu einer Antwort, doch da kam Minna herein.
    »Es ist angerichtet, Herr Hansen.«
    Ich saß mit ihm an dem schweren Tisch aus Walnussholz im Esszimmer. Die Tischdecke war makellos weiß. Wir aßen mit Silberbesteck von blau-weißem Meißener Porzellan, und ich musste an den Blechteller und die Blechtasse und den grauen, mit Dellen übersäten Löffel denken, die ich noch beim Frühstück benutzt hatte. Als Minna eine weiße Porzellanschüssel mit Fleisch vor Muffi hinstellte, malte ich mir aus, wie Erna und Luise wässrige Suppe mit altbackenem Brot zu Abend aßen. Der Gedanke an die beiden suchte mich immer wieder heim und tat weh. Sie waren mir gute Freundinnen gewesen.
    Ich bat Minna, mir die Hühnersuppe ohne Klöße zu geben und aß nur ein kleines Stück Kartoffel sowie ein halbes paniertes Schnitzel. Außerdem einen Esslöffel voll Rotkohl und zwei Teelöffel Reispudding. Es fiel mir wirklich schwer, mich zu beherrschen. Es schmeckte alles sehr gut, aber ich hatte meine Lektion gelernt. Onkel Hartmut sagte nichts dazu, dass ich so wenig aß. Vielleicht hatte Brettmann ihm erzählt, was auf der Autofahrt passiert war.
    Zum Abschluss des Essens gab es Bohnenkaffee. Onkel Hartmut zündete sich eine Zigarre an und paffte sie gierig. Der arme Mann, dachte ich grimmig.
    Unvermittelt fragte er: »Warum hast du es getan?«
    Obwohl ich genau wusste, was er meinte, fragte ich zurück: »Was getan?«
    »Den Jakobi-Jungen versteckt«, antwortete er. »Nun siehst du, wozu das geführt hat.«
    Ich hätte entgegnen können: »Es hat dazu geführt, dass ich jetzt jemand bin, der dir vielleicht mal nützlich ist«, aber ich würde bestimmt nicht anfangen, einem Nazi-Onkel Sachen anzuvertrauen – egal, wie viele Diamanten er für uns gegeben hatte. Ich begann die Muster auf der Damasttischdecke mit der Fingerspitze nachzufahren. Meine Haut war rau von der Arbeit im Lager Uckermark und blieb an den zarten Fasern hängen.
    »Jenny?«, hakte Onkel Hartmut nach. Aus seiner Stimme sprach Ratlosigkeit, sogar Verwirrung. Ich blickte auf, unsere Augen trafen sich, und ich beschloss, es ihm doch irgendwie zu erklären – aber ich brachte es nicht fertig. Am Ende schüttelte ich bloß den Kopf.
    Onkel Hartmuts Augen wurden schmal und er zuckte leise mit den Schultern. »Geh lieber ins Bett«, sagte er. »Wenn es einen Luftangriff gibt, wird Minna euch holen und in den Luftschutzraum bringen. Übrigens wird nicht mehr nur nachts bombardiert. Die Amerikaner werfen jetzt auch am helllichten Tag Bomben ab.«
    Das war vermutlich ein weiterer Grund dafür, dass er uns half. Der Endsieg wurde immer weniger wahrscheinlich.
    Ich ging zu Bett. Muffi schien zu begreifen, dass sie Mama nicht stören durfte –

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