Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
Vom Netzwerk:
aufatmen – schließlich hätte ich selbst dann Angst gehabt, wenn Raffi kein Jude gewesen wäre. Doch Raffi ließ sich einfach zurück auf den Stuhl sinken und setzte sein typisches Raffi-Grinsen auf. »An mir ist ein Schauspieler verloren gegangen«, raunte er mir zu.
    Mir schlug das Herz immer noch bis zum Hals. »Du hast es doch nicht etwa genossen?«
    »Chuzpe«, sagte er immer noch grinsend. »Frechheit. Das braucht man. Und man muss ein bisschen verrückt sein, Jenny. Dann ist es lustig.«
    Und plötzlich war es lustig. Frechheit und Unvernunft hatten gesiegt, oder etwa nicht? Plötzlich war alles nur noch aufregend, der Himmel war blauer als zuvor, und ich sah einen Spatzen herumhopsen, so keck wie Raffi. Ich warf ihm einen Kuchenkrümel zu und beobachtete, wie er ihn aufpickte.
    »Das machen wir wieder«, sagte Raffi. »Wenn dir deine arische Tante das nächste Mal Nazigeld schenkt, setzen wir uns in ein anderes arisches Café und essen arischen Kuchen.«
    »Und wenn dann wieder ein Polizist kommt?«, fragte ich.
    »Dann wird mir schon was einfallen«, meinte er. »Traust du mir das etwa nicht zu?«
    »Du warst lange weg«, sagte Mama, als ich nach Hause kam.
    Ich hatte mir bereits eine Ausrede überlegt. »Ich habe Paula getroffen. Wir waren in einem Café, und ich habe sie von dem Geld, das mir Tante Grete geschenkt hat, zu einem Getränk eingeladen.«

Kapitel Acht
    1940 bis 1941
    O nkel Hartmut saß in seinem Zweireiher auf unserem Sofa und sagte: »Ich bekomme jetzt Juden als Arbeiter für meine Fabrik.« Er nestelte an dem kleinen Hakenkreuz am Revers herum. »Denen werde ich schon Dampf machen, das kann ich euch sagen.«
    Kunigunde grinste uns, an ihren Vater gekuschelt, boshaft an: »Du lässt nicht zu, dass sie herumtrödeln, nicht wahr, Papa?«
    Onkel Hartmut zupfte an einem ihrer arisch blonden Zöpfe. »Bei mir werden sie schon merken, was harte Arbeit bedeutet.«
    Ich konnte meine Klappe nicht halten. »Der Vater meiner Freundin Paula sagt, dass alle Fabrikbesitzer am liebsten Juden nehmen, weil die immer besonders hart arbeiten.«
    Er hatte auch erzählt, dass sie das Arbeitsamt sogar bestachen, um Juden zu bekommen, ich war jedoch klug genug, das zu verschweigen. Karl schnappte bestürzt nach Luft, und Mama, die neben mir auf dem Sofa saß, legte mir die Hand auf den Arm und drückte fest zu – sie war zornig. Onkel Hartmut richtete seine harten, herrischen Augen auf mich. Tante Grete starrte zu Boden, und die Mienen meiner Cousinen, die ihre Köpfe gespannt in meine Richtung drehten, besagten: Jetzt kriegt sie Ärger.
    Das war mir ohnehin klar, aber ich hatte nicht vor, jetzt schon klein beizugeben. Ich hielt Onkel Hartmuts Blick stand. Er sah kurz weg, als wollte er seine Gedanken vor mir verbergen, dann rügte er mich: »Kleine Mädchen sollten den Erwachsenen Respekt erweisen.«
    Mama stupste mich in die Seite, und ich sagte, was von mir erwartet wurde: »Es tut mir leid, Onkel Hartmut.« Aber es tat mir nicht leid, obwohl ich mir einen Vortrag von ihm anhören musste, wie verwöhnt ich war und dass Papa mir öfter mal den Hintern hätte versohlen sollen; Kinder brauchten hin und wieder eine Tracht Prügel, das täte ihnen gut. Ich musste daran denken, wie er Hildegard geohrfeigt hatte.
    Inzwischen wurden sämtliche Juden in Deutschland zur Zwangsarbeit verpflichtet, und das Schlimmste war, dass Tante Edith als Zwangsarbeiterin in Onkel Hartmuts Fabrik kommen sollte. Raffi musste die Schule verlassen und seine Ausbildung abbrechen – dabei war er wirklich ein schlauer Kopf, in den Klassenarbeiten hatte er immer Spitzennoten. Die dumme kleine Kunigunde dagegen durfte weiter die Schule besuchen. Das faule Gör war trotz der Prügel, die ihr Onkel Hartmut verpasst hatte, durchgefallen und würde das Jahr wiederholen müssen.
    Im März 1941, als Raffi gerade mal fünfzehn war, musste er als Arbeiter in einem Gaswerk anfangen. Das Werk lag ganz in unserer Nähe; hätte er noch in seiner alten Wohnung gewohnt, wäre es praktisch gewesen, aber jetzt musste er nach der Arbeit zu Fuß bis nach Moabit laufen. Juden durften nur mit der Straßenbahn fahren, wenn sie sehr weit von ihrer Arbeitsstelle entfernt wohnten. Er hatte eine Zwölfstundenschicht, sechs Tage die Woche, ebenso wie Tante Edith.
    Kurz nachdem er die Arbeit angetreten hatte, schickte mich Mama mit Lebensmitteln zu ihm – das ging jetzt natürlich nur noch sonntags. Sein Anblick erschütterte mich, er wirkte, als wäre das

Weitere Kostenlose Bücher