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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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Licht in ihm erloschen. An jenem Tag strahlte er kein bisschen Chuzpe aus.
    »Gehen wir Kuchen essen«, war alles, was ich herausbrachte.
    Mama hatte ich erzählt, dass ich mich danach noch mit Paula treffen würde. Und Paula, dass ich mit einem Jungen verabredet war. Ich erfand einen Namen für ihn, Klaus-Heinrich. Er sei ein Arbeitersohn und komme aus Prenzlauer Berg, sagte ich.
    »Hat dir deine Tante noch mehr Nazigeld geschenkt?«, fragte Raffi bemüht fröhlich.
    »Ja«, log ich. Ich hatte wochenlang mein Taschengeld gespart. »Und in der Tasche ist Schokolade für dich, Raffi.«
    Er rang sich ein Lächeln ab.
    Wir suchten uns wieder ein schön lautes Café, wo wir ungezwungen sprechen konnten. Er ließ die Hände auf den Tisch fallen und starrte darauf. Sie waren gelbfleckig wie bei einem langjährigen Raucher und auf dem linken Handrücken klaffte eine rote Schnittwunde.
    Er erzählte: »Wir müssen in die Retorten kriechen, um sie zu reinigen – das sind die Dinger, in denen sie das Kohlegas herstellen. Sie sind eigentlich für Steinkohle aus England gedacht, aber jetzt gibt es nur noch Braunkohle. Deshalb verstopfen sie durch die Teerablagerungen. Der Teer ist zäh wie Sirup und stinkt. Die ersten Male ist mir schlecht geworden.« Er zog die Hände vom Tisch. »Aber Schluss mit dem Gejammer. Ich bin schließlich nicht der einzige jüdische Junge, der im Gaswerk arbeitet.«
    Wütend erwiderte ich: »Sie dürften das keinem von euch zumuten.« Und dann kam mir blitzartig eine Erinnerung in den Sinn, Hitlers freundliches Gesicht, als er uns Schulmädchen angesehen hatte. Ein schrecklicher Gedanke angesichts dessen, was die Nazis Raffi antaten.
    Raffi zuckte mit den Schultern, doch dann erklärte er zornig: »Die Arbeit in der Fabrik tut Mama nicht gut. Sie hustet unentwegt, weil sie die Fasern einatmet, die dort herumfliegen.«
    Als wir aufbrachen, sagte er: »Müssen wir eigentlich warten, bis unsere Mütter wieder etwas vereinbaren? Das kann noch ewig dauern. Treffen wir uns doch übernächsten Sonntag wieder. Mama erzähle ich einfach, dass ich mit einem Freund verabredet bin.«
    Ich willigte sofort ein. Meine Ausrede für meine Mutter war, dass ich etwas mit Paula unternahm.
    In Paulas Vorstellung hatte ich eine blühende Romanze mit Klaus-Heinrich. Sie wollte wissen, ob meine Mutter mir wirklich nicht erlauben würde, ihn zu treffen.
    »Ja«, sagte ich. »Sie würde finden, ich bin zu jung.«
    »Oh, verstehe«, meinte Paula grinsend. Ich fühlte mich mies, weil ich sie anlog, richtig mies. Aber es ging nicht anders.
    Dieses Mal reichte mein Geld nicht für Kuchen, nur für eine Limonade, doch das störte Raffi nicht. Wir saßen einander gegenüber, und er erzählte, der Vorarbeiter im Gaswerk sei kein schlechter Kerl, er schikaniere sie nicht.
    »Ich habe beschlossen, später Architekt zu werden«, erzählte er. »Man braucht einfach eine Perspektive, verstehst du?«
    Ich nickte eifrig. Ich freute mich, dass er jetzt etwas fröhlicher wirkte.
    »Das Arbeiterdasein hat mir wirklich die Augen geöffnet. Jemand, der tagein, tagaus so eine schmutzige, anstrengende Arbeit verrichtet, sollte sich nicht nach Feierabend noch fünf Stockwerke zu Fuß nach oben schleppen müssen, sondern einen Aufzug haben. Hör mal, könnte ich Tante Sylvia wohl um ein bisschen Papier bitten, Jenny? Ich würde gerne ein paar meiner Ideen aufzeichnen. Tut mir leid, dass ich ständig um Sachen betteln muss – die Schokolade war übrigens lecker, Mama hat sie auch geschmeckt.«
    Wieder grinste er übers ganze Gesicht. Es schien, als wäre die Sonne durch die Wolken gebrochen.
    »Die Schokolade besorgt Katrin für euch. Sie meint, Schwerarbeiter brauchen Zucker«, sagte ich.
    Er lachte. »Sag ihr danke von mir. Wie geht’s zu Hause?«
    »Karl ist einberufen worden. Nächste Woche beginnt seine Grundausbildung. Mama regt sich fürchterlich auf, aber sie versucht es sich nicht anmerken zu lassen.«
    »Ich wünschte, ich könnte auch kämpfen.«
    »Wie bitte?«, fragte ich.
    »Wenn wir nach England gegangen wären, hätte ich darauf gebrannt, gegen die Nazis zu kämpfen. Aber nicht bei der Air Force. Ich würde keine Bomben auf euch werfen wollen.«
    Als er das sagte, hätte ich am liebsten geweint, aber ich schluckte meine Tränen hinunter.
    Es war Mai, und der Flieder blühte, wie vor einem Jahr, als wir Frankreich eingenommen hatten und Klotz so begeistert gewesen war. Dieses Jahr musste er allerdings die Hakenkreuze, die er so

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