Nicht ohne dich
hoffnungsvoll auf die Britischen Inseln gemalt hatte, wieder wegwischen. »Vorläufig«, meinte er düster und bedachte die Inseln mit einem finsteren Blick, weil sie Hitler den Sieg verweigerten. Stattdessen verzierte er Kreta, unsere jüngste Eroberung, mit einem Hakenkreuz.
Karl wurde in der Nachrichtentruppe zum Abfangen von Funksprüchen eingesetzt, weil er ein kluger Kopf war und so gut Englisch sprach. Er hatte seine Ausbildung abgeschlossen und war bereits befördert worden. Papa und er hatten noch einmal Heimaturlaub, bevor sie sich beide Rommels Afrikakorps anschließen sollten.
Beim Abendessen sagte Karl: »Schau, Papa, ich kann ja nachfühlen, wie es dir geht. Und ich weiß, dass wir einen ungerechten Krieg führen. Aber ich finde, wenn ich schon kämpfen muss, dann mache ich es besser richtig. Die einzige andere Option wäre zu verweigern.«
»Bloß nicht!«, sagte Papa schnell.
Ich sah, wie Mama erbleichte. Mir wurde schlecht vor Entsetzen.
»Das kannst du nicht machen, Karl«, sagte ich. »Du weißt, was dann mit dir passiert.«
»Seht ihr?«, sagte Karl. »Es gibt keinen Ausweg.«
Papa sagte nichts darauf.
Später spielte er mit Karl Schach, Muffi lag dabei auf seinem Schoß. Dann begleiteten wir Papa zur Quäkerandacht. Ich saß neben ihm und sog gierig seine Nähe ein, als könnte ich sie in mir speichern für später, wenn er nicht mehr da war.
Am Abend wollte ich nicht schlafen gehen, weil damit ein weiterer gemeinsamer Tag zu Ende war. Als meine Eltern mich ins Bett gescheucht hatten, murmelte ich in mein Kissen hinein: »Papa und Karl werden immerhin zusammen sein, das ist doch schön. Und Karl sagt, Rommel ist ein guter Kommandeur, er setzt nicht unnötig Menschenleben aufs Spiel. Das muss sogar Papa zugeben.«
Bald wären sie fort. Diese Vorstellung war so schrecklich, dass ich gar nicht daran denken mochte.
Am 22. Juni marschierten deutsche Truppen in Russland ein. Die Russen seien selbst schuld, erzählte man uns. Wir seien gezwungen gewesen, uns zu verteidigen.
Mama lachte erzürnt, dann sagte sie: »Ich glaube, der Krieg wird niemals enden.«
Ich kann gar nicht sagen, wie verzweifelt und wütend mich das machte. »Oh doch, das wird er!«, sagte ich. »Sei doch nicht so. Ach, ich hasse es, wenn du alles so …«
Aber Mama verbot mir, in diesem Ton mit ihr zu sprechen. Ich stapfte in mein Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu. Als ich wieder rauskam und ihr im Flur begegnete, stolzierte ich wortlos an ihr vorbei, weil ich immer noch böse auf sie war. Auch sie wandte sich ab und behandelte mich wie Luft. Katrin stand in der Küchentür und beobachtete das Ganze. Sie lachte uns aus.
»Ihr seid euch einfach zu ähnlich«, sagte sie, »ihr beide.«
Das brach das Eis zwischen uns.
Wir bekamen einen Brief von Karl. Als Mama ihn öffnete, rieselte grauer Sand auf den Tisch.
Ich habe gar nicht erst versucht, ihn loszuwerden, schrieb Karl, weil er sowieso überallhin kriecht. Jetzt habt Ihr wenigstens eine Vorstellung, wie es hier ist. Ich dachte immer, die Wüste sei gelb, aber sie ist ganz grau und felsig unter dem Sand. Man muss aufpassen, sonst knickt man mit dem Fuß um und macht Papa und seinen Kollegen Arbeit. Der Sand wird ständig verweht wie Schnee, und am Morgen sieht man kleine Tierspuren darin. Die Tiere, die sie hinterlassen, bekommt man allerdings nie zu Gesicht, weil sie nur nachts herauskommen. Es gefällt mir, unter Rommel zu dienen, er ist hart, aber gerecht, und es liegt ihm etwas an uns. Die Arbeit ist interessant. Hin und wieder treffe ich Papa, das ist schön. Hoffe, die Luftangriffe sind nicht zu schlimm.
Diese letzte Zeile drückte das Gleiche aus wie unser »Passt auf Euch auf«, wenn wir Papa und ihm schrieben; und wie Papas »Eure Briefe bedeuten mir sehr viel, meine Liebsten«.
Schreibt mir bald, hieß es. Lasst mich wissen, dass ihr noch am Leben seid.
Keiner von beiden erkundigte sich je nach den Jakobis. Nicht weil es sie nicht gekümmert hätte. Sondern weil alle Briefe gelesen wurden.
Im Herbst 1941 entschied Onkel Hartmut, dass es in Berlin zu gefährlich für Hildegard und Kunigunde war, deshalb schickte er sie zu seiner Mutter aufs Land in der Nähe von Heidelberg. Ich war froh, dass ich sie nicht mehr sehen musste. Tante Grete verbrachte eine Woche pro Monat bei ihnen, die restliche Zeit wurde sie von Onkel Hartmut gebraucht, behauptete sie.
Die Luftangriffe machten mir inzwischen keine Angst mehr. Es hatte schon so viele gegeben und
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