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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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Mauer sein zu können.
    Nachdem sie alle Zimmer durchwühlt hatten, sagte er: »Unten gibt’s noch die Werkstatt. Die durchsuchen wir auch. Du, Mädchen …« Er deutete auf mich. »Du kommst mit und schließt uns auf.«
    In diesem Moment wurde ich ganz kalt und ruhig. Irgendwie fühlte ich mich seltsam, als wäre das alles gar nicht real. Ich hütete mich davor, Mama anzusehen.
    Muffi heftete sich an meine Fersen. Ich sah den Gestapobeamten eine Geste machen, als wollte er sie mit einem Fußtritt zurückbefördern, aber sie wedelte unter ihren Zotteln wieder mit dem Schwanz, und er musste noch mal lachen.
    »Na schön, komm mit, du komischer Hund. Und jetzt zur Sache, Mädchen«, wandte er sich an mich. »Wann hast du deine Judenfreunde zuletzt gesehen?«
    Ich wusste genau, wie ich auftreten musste. Voller Angst, aber ehrlich. Das hatten wir geübt. »Im Januar, in dem Jahr, als der Krieg losging, damals sind sie ausgezogen.«
    »Du lügst«, sagte er. »Ich weiß, dass du sie inzwischen gesehen hast. Los, runter jetzt, wenn du mich aufhältst, wirst du es bereuen. Ihr wart doch mit denen dick befreundet. Wir mussten deinen Vater festnehmen, weil er versucht hat, seinen jüdischen Kumpan zu schützen.«
    Er war mit seiner Pistole hinter mir auf der Treppe. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen. Auf halbem Weg flüsterte ich: »Was mit Papa passiert ist, hat …«
    »… euch eine Lektion erteilt, nicht wahr? Ausgezeichnet.«
    Wir waren unten angelangt. »Na los«, herrschte er mich an. »Mach die Tür auf.«
    Ich schob den Werkstattschlüssel ins Schloss. Und sagte noch etwas, das wir mit Karl einstudiert hatten. »Mein Onkel, Herr Hansen, hat uns von den Juden erzählt. Er ist mit dem Führer befreundet. Er hat uns alles erklärt.«
    Ich hatte Onkel Hartmut erwähnt, aber er sagte nichts darauf, also wusste ich nicht, ob es funktioniert hatte. Er streckte den Arm aus und knipste das Licht an. Seine Leute begannen die Werkstatt zu durchsuchen. Ich versuchte ganz fest daran zu glauben, dass es da nichts zu finden gab, was uns belasten konnte.
    Einer von ihnen nahm sich die Toilette vor, ein anderer riss den Holzschrank auf, in dem Papa seine Werkzeuge aufbewahrte. Nur ein paar Marionetten baumelten an der Stellage, die meisten aus der Pinocchio-Geschichte. Sie gehörten Karl und Raffi und mir und waren unverkäuflich. Auf kleinen Pappbügeln hingen viele von Mamas Puppenkleidern. Sie verkauften sich so gut, dass es sich allein ihretwegen lohnte, die Werkstatt weiter offen zu halten. Von seiner Wand herab blickte uns der alte, schwer geprüfte Gepetto an. Ich dachte: Sein Gesicht sieht aus wie das von Papa. Das war mir noch nie aufgefallen. Neben ihm hing traurig die sprechende Grille.
    Einer der Männer steuerte auf das Marionettentheater zu und klopfte daran.
    Ganz ruhig, dachte ich. Plötzlich war mir so durch und durch kalt, dass ich zu Eis zu erstarren glaubte.
    »Was ist das?«, wollte der Uniformierte wissen.
    Ich sagte: »Mein Vater hat es benutzt, um Marionetten vorzuführen. Da oben gibt es einen Sitzplatz für den Puppenspieler, wo die Zuschauer ihn nicht sehen. Es ist nämlich so, wenn man Marionetten verkauft, dann wollen die Puppenspieler die zuvor ausprobieren …«
    »Was ist dahinter?«, fiel er mir ins Wort.
    »Nur die Wand.«
    »Die ist hohl.«
    »Die Rückwand des Theaters ist aus Holz, darum klingt es hohl.«
    Einer der Männer griff hinein und ließ die Hand über die ganze Rückwand gleiten. Da würde er keine Riegel finden. Ich stand vollkommen reglos da und versuchte normal zu atmen.
    Der Mann kletterte hinauf und setzte sich auf das Brett, auf dem sonst der Puppenspieler saß. »Es hält«, sagte er, als hätte er erwartet, zu Boden zu stürzen.
    »Schöne Handwerksarbeit«, sagte der Gestapobeamte und ließ dabei die Waffe um seinen Finger kreisen. Durch die Bewegung fiel einer der pelzgefütterten Handschuhe, die er in der Tasche hatte, heraus. Muffi trottete herbei, hob ihn auf und hielt ihn ihm entgegen.
    Wieder musste er lachen. Das Geräusch zerrte fürchterlich an meinen Nerven.
    »Ich kann keine Türgriffe entdecken«, sagte der Gestapomann, sah dabei aber Muffi an. Genau wie der andere, der grobschlächtige Typ, unter dessen Mütze fettiges graues Haar hervorlugte.
    Der Offizier nahm Muffi seinen Handschuh ab.
    »Danke«, sagte er und tätschelte sie.
    Muffi machte Sitz und streckte die Pfote aus. Er ging in die Hocke und schüttelte sie, wie es jeder normale Mensch getan hätte.

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