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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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und war so konzentriert dabei, dass sie nicht einmal hochblickte. Ich ging hinauf, stellte meine Einkaufstaschen neben der Wohnungstür ab und sperrte auf. Die Taschen waren noch fleckig vom Straßenstaub. Raffi öffnete seine Zimmertür und trat in den Flur.
    »Hast ja eine schöne Menge Zeug!«, sagte er. Ich hörte es und fühlte immer noch nichts. Vielleicht war das am besten so, dachte ich – gefühllos sein. Ich war nicht mehr verliebt. Die Bombe hatte alles weggesprengt.
    Er pfiff leise, als ich ihm das Rindfleisch zeigte. »Gut gemacht!«, sagte er. Muffi reckte die Nase in die Luft und witterte hingerissen. Nicht, dass sie in diesen Zeiten viel Fleisch bekommen hätte, nur ein paar Reste, aber sie würde den Knochen kriegen, nachdem wir daraus Suppe gekocht hatten.
    Dann holte ich die Dosen hervor.
    »Gelbe Pflaumen!«, sagte er. »Was für ein Luxus! Und junge Erbsen und Karotten, was haben dich die denn gekostet?«
    Und da schleuderte ich die Dosen auf den Boden, dass Muffi mit eingezogenem Schwanz jaulend davonlief. Raffi starrte mich nur entsetzt an. Er schien Angst vor mir zu haben, und das hatte ich ja auch gewollt, aber ich fühlte mich deswegen nicht besser. Die Betäubung war von mir abgefallen. Ich brüllte, wie es schon seit einer Ewigkeit aus mir herauswollte, und Raffi wich vor mir zurück. Dann pfefferte ich noch das Heft und auch den Stift auf den Boden, sodass die kostbare Bleispitze abbrach, sah, wie sie auf das Parkett prallte – und rannte in mein Zimmer.
    Ich knallte die Tür hinter mir zu, warf mich aufs Bett und heulte, weil ich wusste, dass Raffi mir nicht hinterherkommen würde. So war es auch, denn ich hörte seine Zimmertür ins Schloss fallen und Muffis Krallen auf dem Parkett, sie war ihm nachgelaufen. Ich vergrub mein Gesicht in den Kissen und klammerte mich an die Decke. Keinem, so war ich überzeugt, bedeutete ich etwas. Wenn doch nur mein großer Bruder da gewesen wäre, Karl wäre gekommen, er hätte mich nicht mit meinem Kummer alleingelassen. Karl hätte ich vielleicht sogar von dem Arm des Mädchens erzählen können – Raffi nicht, weil er mich für Abschaum hielt.
    Und dann hasste ich ihn, so richtig aus tiefster Seele; ich redete in mein Kissen und erschrak selbst über meine Worte, aber es sprudelte aus mir heraus. »Ich hätte ihn nicht davon abhalten sollen, Tante Edith nachzulaufen, wenn er uns schon nicht mag.«
    Doch dann spürte ich Tante Ediths Hand, wie sie meine drückte, als sei ich wieder mit ihr auf der dunklen Straße. Ich erschrak über das, was ich gesagt hatte, rollte mich herum und starrte an die Decke. Sie sah schon ein bisschen schmuddelig aus, denn im Krieg konnte man nicht renovieren. Ich wimmerte ganz leise: »Tante Edith, ich brauch dich so sehr.« Dann hatte ich das Gefühl, sie würde mit mir sprechen. Freundlich, aber bestimmt – so wie manchmal, wenn ich als Kind unartig gewesen war – erklärte sie mir, ich müsse durchhalten. Obwohl ich das Gefühl hatte, kein Glied rühren zu können, schaffte ich es schließlich, vom Bett aufzustehen und in den Flur zu gehen. Ich hob die Einkaufstaschen auf und verstaute alles, sogar die Konservendosen. Sie waren allesamt verbeult; einige der Beulen hatte ich vielleicht selbst produziert.
    Mama machte ich weis, der Lebensmittelhändler hätte sie mir gegeben, weil sie so eingedrückt waren. Von der Bombenexplosion und dem Kinderarm erzählte ich nie irgendjemandem.

Kapitel Fünfzehn
    Mai bis Oktober 1943
    D er Schlachter steckte mir ein Hühnchen in die Tasche und sagte: »Ich gebe euch so viel zusätzliches Fleisch und trotzdem bist du so dünn! Ihr werdet ja wohl nicht euren Hund damit füttern, oder?«
    Ich lachte, aber es machte mich trotzdem nervös; er war nicht blöd. Als ich nach Hause kam, holte ich zuerst Muffi aus der Werkstatt, bevor ich die Einkäufe nach oben trug. Frau Tillmann war da und unterhielt sich mit Mama, die an einer dunkelblauen Kostümjacke für Tante Grete arbeitete.
    »Es sind die Druckwellen, die mir Angst machen«, sagte sie. »Es braucht bloß irgendwo in der Nähe eine Bombe einzuschlagen, und unsere gesamten Lagerbestände wären nur noch Scherben. Allerdings kann man mit Porzellan momentan glänzende Geschäfte machen. Wir setzen zwar nicht mehr so viele hochwertige Waren um wie früher, aber die Leute, die ausgebombt worden sind, brauchen neues Geschirr …«
    Von oben war ein Krachen zu vernehmen.
    Frau Tillmann stieß einen kleinen Schrei aus. »Was war

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