Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
Vom Netzwerk:
verstecke mich wie ein Feigling, wo ich doch … Ich hau ab. Mir reicht es, Jenny. Schluss!«
    Er lief durch die nicht abgeschlossene Küchentür und die Treppe hinunter. Unten sperrte er die Hintertür auf und schloss sie wieder hinter sich zu.
    Mein Mund öffnete sich unwillkürlich und aus meiner Kehle stieg ein Heulen auf wie bei einem Baby. Muffi winselte, blickte von der Tür zu mir und tatschte mit der Pfote an mein Bein. Sie wollte, dass wir Raffi hinterherliefen und ihn zurückholten. Aber ich fühlte mich nicht dazu imstande. Plötzlich lastete das schlechte Gewissen schwer auf mir. Ich hätte merken müssen, wie es für ihn war, eingesperrt zu sein, ich hätte nicht so sauer sein dürfen. Ach, könnte ich doch nur alles ungeschehen machen, dachte ich. Dann wurde mir klar, dass ich losgehen und ihn suchen musste. Ich hörte Mamas Schlüssel in der Vordertür. Meine Uhr zeigte zehn nach sechs.
    »Jenny«, sagte sie, als sie in die Küche kam. »Ich habe mir schon Sorgen gemacht …«
    »Raffi ist weg. Er hat gesagt, dass es ihm reicht.«
    Sie schlug die Hände zusammen. »Oh Gott.«
    »Muffi möchte ihn suchen gehen und ich …«
    »Ich komme mit«, erklärte Mama.
    »Lieber nicht. Falls er zurückkommt, sollte jemand hier sein, mit dem er reden kann.«
    »In Ordnung, Jenny«, stimmte mir Mama zu. Sie war blass im Gesicht.
    Ich überließ Muffi die Führung; ich musste mich nur auf ihre Nase verlassen. Sie lief zum Kurfürstendamm. Dort angekommen, blieb sie stehen, als müsste sie überlegen, welche Richtung Raffi eingeschlagen haben könnte. Es regnete wieder. Ich dachte, der Regen würde sämtliche Duftspuren wegwaschen, aber Muffi steuerte auf eine Mauer zu und schnüffelte daran. Vielleicht hatte Raffi sie gestreift. Dann wandte sich Muffi entschieden in Richtung Stadtzentrum. Es konnte gut sein, dass er dorthin gegangen war, vielleicht zu seiner ehemaligen Wohnung?
    Hauptsache, er marschierte nicht zu einem Polizisten und sagte: »Ich bin Jude. Verhaften Sie mich.« Das wäre sein Ende. Und wir würden nie davon erfahren.
    Vor mir stand eine Frau, die den Lichtstrahl ihrer Taschenlampe über ihre nackten Beine mit Gänsehaut und ihre hochhackigen Schuhe gleiten ließ. Der Anblick ließ einen frösteln. Die dunkle Silhouette eines Mannes näherte sich ihr. Im matten Schein der Taschenlampe sah ich ein Beinpaar in grauen Uniformhosen.
    »Heil Hitler«, raunte der Soldat. »Wie viel?«
    Ich war froh, als Muffi mich weiterzog. Eine grauenvolle Vorstellung, dass der Soldat eine Nutte abschleppte, während Raffi gleichzeitig unter Lebensgefahr hier irgendwo herumlief. Ein Stück weiter vorn schob sich ein Paar durch den Ledervorhang, der am Eingang eines Lokals verhinderte, dass Licht herausfiel. Eine Geruchswolke – Kohl mit einer winzigen Spur Fleisch – streifte meine Nase. Muffi zerrte an der Leine.
    »Ist er da drin?«, fragte ich sie.
    Sie stupste mit der Nase an mein Bein. Ich wusste, was sie meinte: »Da gibt’s was zu essen.« Ich zog sie weiter. »Nicht für dich«, sagte ich. »Ich dachte, du wolltest auch Raffi finden, Muffi. Raffi!«
    Sie schüttelte sich und spritzte mich nass dabei, dann setzten wir unseren Weg fort. Viele Menschen waren unterwegs. Gesprächsfetzen drangen an mein Ohr und fügten sich zu einer zusammengewürfelten Unterhaltung.
    »Diese Verdunklung geht mir auf die Nerven. Man kann sich nicht einmal mehr auf der Straße eine Zigarette anzünden …«
    »Was man in den Restaurants vorgesetzt bekommt, ist eine Schande …«
    »Zieh doch zu mir, alter Junge. Mein Bruder hat einen Bauernhof, soll ich nicht …«
    »Bist du verrückt? Halt den Mund, du weißt nicht, wer zuhört.«
    Ja, dachte ich, warum haltet ihr nicht alle den Mund? Ihre Gespräche lenkten mich ab, sie bildeten einen Nebel des Stumpfsinns zwischen mir und Raffi. Ich hörte die Glocke der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche drei viertel schlagen. Viertel vor sieben. Wir suchten bereits seit einer halben Stunde.
    »Der Regen macht einem gar nicht mehr so viel aus, stimmt’s?«, hörte ich eine Frau zu ihrer Freundin sagen. »Nicht wenn man weiß, dass er die Bomber abhält.« Ich hätte ihr am liebsten eine gescheuert.
    Im Weitergehen starrte ich all die Gestalten an und hasste sie, weil keine von ihnen Raffi war. Einmal sah ich einen Polizisten, der jemanden im Polizeigriff abzuführen schien. Vor Schreck zog sich in mir alles zusammen, aber dann entfernte sich die Person von dem Polizisten und bog in

Weitere Kostenlose Bücher