Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meral Al-Mer
Vom Netzwerk:
muss jetzt gehen. Schlaft!«
    Er drückte uns Schnuller und Milchfläschchen in die Hände, nahm seine Tasche, stieg aus und schloss ab. Stundenlang saßen Mark und ich im Auto, Tage und Nächte. Die Gitterstäbe des Zauns um das Fabrikgelände und der Parkplatz haben sich mir für immer ins Gedächtnis eingebrannt. Das Auto wurde zu unserem zweiten, ungeliebten Zuhause. Wir schliefen im Auto, spielten im Auto, fürchteten uns im Auto. Vor allem nachts im Dunklen oder in der Anonymität eines Parkhauses, wenn unsere Eltern ausgingen oder Freunde trafen und uns derweil im Auto ließen, hatte ich schreckliche Angst. Noch viele Jahre lang sollte ich immer denselben Albtraum haben: Es ist Nacht. Ich sitze zusammen mit Mark in einem PKW . Der beginnt zu rollen, doch ich kann ihn nicht stoppen …
    Der Geruch der Kunstledersitze, der Klang von zuschlagenden Autotüren und das plötzliche Aufblenden von Scheinwerfern sollten mich noch bis ins Erwachsenenalter in Panik versetzen, meinen Herzschlag beschleunigen und mir den Schweiß auf die Stirn treiben. Das ist der Grund, warum ich bis heute keinen Führerschein habe, auch wenn es mir inzwischen nichts mehr ausmacht, mich zu jemandem ins Auto zu setzen.
    Damals war ich jedes Mal unendlich erleichtert, wenn mein Vater oder Kornelia kam, um uns aus dem Auto zu holen. Wie ein Äffchen klammerte ich mich an meinen Papa, und alle Angst war vergessen. In seiner Gegenwart war alles gut – vorausgesetzt, die Wolken blieben fern.
    Doch die Zeit mit Kornelia neigte sich ihrem Ende entgegen, es gab immer häufiger Streit zwischen den beiden. Und mein Vater tat die seltsamsten Dinge …
    Eines Nachts wecken mich Geräusche aus dem Wohnzimmer. Ich stehe auf und gehe nachsehen, was los ist. Da sitzt ein nackter Junge, vielleicht fünfzehn Jahre alt, an unsere Heizung gefesselt. Und dann erkenne ich ihn, es ist einer meiner Onkel, ein Bruder meines Vaters, mein Onkel Mostafa.
    Mein Papa lehnt über dem Sofa, er stützt sein Luftgewehr auf der Rückenlehne ab und beschießt seinen Bruder mit den kleinen Pfeilen, die er in einer leeren Pulmoll-Dose aufbewahrt. Eigentlich sind sie für Vögel bestimmt, sie sind rot, gelb und grün. In dem Moment, in dem ich das Wohnzimmer betrete, wendet der Junge, der mein Onkel ist, seinen Kopf zu mir und unsere Blicke treffen sich. Es ist ein intensiver Blick und ich kann darin seine Verzweiflung, den verletzten Stolz und die Empörung erkennen. Die Demütigung, die sein großer Bruder ihm antut.
    »Bitte, Bruder«, höre ich ihn sagen, »ich habe wirklich keine Autoradios gestohlen.«
    Doch mein Vater hört nicht, sondern schießt weiter …
    Mein Onkel war damals ein in der Szene bekannter Graffiti-Sprayer, was von seiner Familie allerdings niemand wusste. In dieser Nacht hatte mein Vater ihn in der Stadt mit seiner gesamten Ausrüstung angetroffen und sofort den Schluss gezogen, mein Onkel müsse ein Autoknacker und Radiodieb sein. Die Sache mit den Pfeilen sollte eine Bestrafung für den Jungen sein, die er nicht so schnell vergessen würde. Er hatte recht damit, mein Onkel vergaß diese demütigende Behandlung tatsächlich sein Leben lang nicht.
    Doch dies ist in jenen Jahren nicht die einzige merkwürdige nächtliche Gewaltszene, die ich miterlebe. Einmal werde ich nachts wach, weil ich Gepolter höre. Ich lausche: Da ist auch leises, unterdrücktes Gewimmer. Ich klettere aus meinem grünen Gitterbett, um nachzusehen, was los ist. Als ich die Tür unseres Kinderzimmers öffne, verstehe ich zunächst nicht, was sich vor meinen Augen abspielt: Von der Flurlampe grell beleuchtet, liegt Kornelia zusammengekrümmt auf dem moosgrünen Teppichboden, während mein Vater auf ihr herumtrampelt. Immer wieder springt er auf ihren zarten Körper. Es ist ein bewegtes Bild wie in einer Endlosschleife, ohne ein Davor oder Danach. Ich weiß, dass irgendwann der Krankenwagen kam und sowohl Kornelia als auch Hamid den Sanitätern erklärten, sie sei die Treppe hinuntergefallen. Später behauptete mein Vater, Kornelia habe mit einem seiner Brüder geflirtet, nur darum habe er sie verprügelt. Bis heute kann ich mir das nicht vorstellen, Kornelia war meinem Vater immer treu ergeben – im Gegensatz zu ihm. Die Sanitäter brachten Kornelia ins Krankenhaus, wo man sie dabehielt, denn sie war schwer verletzt. Hamid hatte ihr mehrere Rippen gebrochen.
    Ein paar Tage später nahm er Mark und mich mit ins Krankenhaus. Er hatte einen wunderschönen Blumenstrauß gekauft. Ich

Weitere Kostenlose Bücher