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Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meral Al-Mer
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Junge von mir abließ. Im Grunde habe ich bis heute damit nicht aufgehört.

5
Der syrische Bruder
    I ch stehe im Flur und versuche zu erkennen, was im Wohnzimmer vor sich geht. Man hat es mir nicht ausdrücklich gesagt, aber so viel habe ich verstanden: Sie wollen mich nicht dabei haben. Also drücke ich mich hier herum, um herauszufinden, was dort passiert.
    Hamid und Elke heiraten, das ist es, was vor sich geht. Sie heiraten auf »unsere« Weise, nämlich vor Allah und dem Hodscha. Zuvor nimmt Elke unseren Glauben an. Sie muss nur auf Arabisch sagen: »Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Allah gibt und Mohammed sein Diener und Gesandter ist«, und schon ist sie Muslima. Darum hat sie sich schön zurechtgemacht und trägt ausnahmsweise ein Kopftuch über ihrem streichholzkurzen blonden Haar.
    Obwohl mein Vater kein praktizierender Muslim war, nahm Elke die Sache sehr ernst. Sie versuchte, die komplizierten Rituale der Waschungen und der Gebete zu erlernen, und auf unseren Reisen war sie es, die jede Moschee besuchen wollte. Meinen Vater dagegen sah ich nicht ein einziges Mal die Gebete verrichten. Er hielt auch den Ramadan nicht ein, und ich kann mich nicht erinnern, dass er je in eine Moschee ging, außer, um sie mit Elke zusammen zu besichtigen. Er besaß eine Ausgabe des Korans, die er zu seltenen Anlässen ehrfürchtig und wie ein zerbrechliches Heiligtum aus dem Schrank holte, nachdem er sich mit großem Tamtam die Hände gewaschen hatte. Wir durften das Buch nie anfassen. Er sei ein moderner Mann, so sagte er immer wieder, und er wollte auf keinen Fall, dass seine Frau ein Kopftuch trägt. Doch wenn es darauf ankam, dann war ihm die Tradition wichtig. So zum Beispiel, als er und Elke heirateten, und später, als ich älter wurde.
    Doch an jenem Tag, als ich vom Flur aus ins Wohnzimmer spähte, ahnte ich das noch nicht. Ich war fünf Jahre alt und beobachtete, wie mein Vater und Elke dort im halbdunklen, mit Kerzen erleuchteten Wohnzimmer vor dem Hodscha knieten. Ich konnte nicht verstehen, was da drin gesprochen wurde. Eine feierliche Stimmung ging von den dreien aus, aber dann war es auch schon vorbei.
    An diesem Tag, der sie zur Muslima und zu Hamids Frau machte, erhielt Elke auch einen neuen Namen: »Emel«, das heißt »Wunsch«, »Hoffnung« oder »Ziel«. Aber alle nannten sie weiterhin Elke.
    Welchen Wunsch hatte Elke? Sie liebte meinen Vater so sehr, dass sie bereit war, Grenzen zu überschreiten und vieles, was ihr bis dahin wichtig gewesen war, hinter sich zu lassen, um zu ihm zu gehören. Sie nahm mich als ihre Tochter an und versuchte, mir eine gute Mutter zu sein. War es einerseits mein Vater, der als Immigrant in Deutschland Fuß zu fassen versuchte, so versuchte sie als junge Deutsche in einer türkisch-arabischen Familie Fuß zu fassen. Freiwillig stellte sie ihre Rechte hinter die ihres Mannes, ganz so, wie Hamid es ihr in jener Nacht in ihrem R4, wenige Tage nachdem Kornelia gestorben war, zur Bedingung gemacht hatte. »Zuallererst komme ich. Dann meine Familie. Und ganz am Schluss du.« Elke sagte Ja dazu. »Warum?«, sollte ich mich in den Jahren danach immer wieder fragen. »Was tut sie nur bei uns? Sie könnte es so schön haben.« Doch was auch immer es war, etwas fesselte sie an meinen Vater. Vielleicht war es Liebe.
    Eines Tages machte mein Vater eine lange Reise. Er musste seinen Militärdienst in der Türkei antreten. Um dieses Ärgernis zu verkürzen, hatte er eine Menge Geld bezahlt, mehrere tausend D-Mark, um nicht die vollen zwei Jahre ableisten zu müssen. Doch die fünf Monate konnte er nicht umgehen. Oma Halima schüttete eine Schüssel Wasser hinter ihm her, als er fuhr, und rief weinend: »Möge deine Rückkehr so sicher sein wie der Regen, mein Sohn.«
    Auch Elke und ich weinten. Ich machte mir Sorgen um meinen Vater. Eines Abends bekam ich beim Zubettgehen mit, dass sich Elke gemeinsam mit einer Freundin den Film Nicht ohne meine Tochter über die Geschichte der Betty Mahmoody ansehen wollte. Dieser Filmtitel setzte meine Phantasie in Bewegung, denn, so viel hatte ich mitbekommen, es ging um eine amerikanische Mutter, die sich von ihrem arabischen Ehemann trennen wollte, dies aber »nicht ohne ihre Tochter« tun wollte. Bei mir war es umgekehrt gewesen: Meine Mutter hatte mich bei der Trennung hergegeben. Nun wollte ich gerne den Film mit ansehen, doch Elke war der Meinung, ich sei noch zu klein dafür. Und so lag ich heimlich wach in meinem Bett und sah durch den

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