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Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meral Al-Mer
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Dann dreht er den Heißwasserhahn auf, und ich glaube, in Flammen zu stehen. Meine Haut verbrennt, meine Atemwege brennen, alles steht wie unter Feuer. Es fühlt sich an, als würden die oberen Schichten meiner Haut weggeätzt. Obwohl mein Vater mich weiterhin schlägt, obwohl ich immer wieder ausrutsche in den nassen Kleidern und hinknalle, die Augen nicht aufbekomme und mein ganzer Körper sich anfühlt wie eine einzige Wunde, bin ich ganz still. Ich habe mir vor langer Zeit abgewöhnt, zu schreien und zu weinen, denn das macht ihn nur noch mehr an. Seine Grausamkeiten stillschweigend zu ertragen, mich zu weigern, zu weinen und zu schreien, ist die einzige Gegenwehr, die ich habe. Das alles ist demütigend genug. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich schäme.
    Irgendwann geht er weg. Ich schalte den Wasserregler auf normale Temperatur. Auf einmal ist Ruhe. Ich halte meinen Kopf unter den körperwarmen Wasserstrahl, höre nichts, sehe nichts, das Wasser hüllt mich ein, und wie so oft gelingt es mir für einige winzige Augenblicke, aus mir herauszutreten, alles auszublenden, eine Art »Freeze-Moment« zu genießen. Kraft zu sammeln. Mich einfach abzuschalten.
    Wie ich aus der Wanne komme, mich ausziehe und abtrockne – das alles ist in meiner Erinnerung später ausradiert. Der Film setzt später wieder ein, als mein Onkel neben mir auf dem Sofa sitzt, mich festhält und bleibt, bis meine Haare trocken sind, oder anders gesagt, bis er sicher sein kann, dass mich mein Vater an diesem Tag nicht mehr umbringen wird. Er beschützt mich. Jetzt, da mein Vater von mir abgelassen hat, ist er dazu in der Lage. Ich kann seine Hilflosigkeit spüren. Wir sind eine Familie. Wir müssen zusammenhalten. Auch wenn wir uns gegenseitig umbringen.
    An diesem Abend wie an jedem anderen auch sage ich »Gute Nacht« zu meinem Vater. An seiner Antwort versuche ich abzulesen, ob die Sache gegessen ist oder ob die Bestrafung am nächsten Tag noch eine Fortsetzung finden wird. Wenn er zu seinem »Gute Nacht« noch »mein Kind« hinzufügt, dann ist alles wieder gut. Früher gab es hin und wieder noch ein »Gute-Nacht-Küsschen«, doch das ist schon lange nicht mehr der Fall. Je älter ich werde, desto öfter finden die Bestrafungen auf Raten statt und ziehen einen ganzen Rattenschwanz an Katastrophen hinter sich her. Kleine Pakete, in denen Schmerz und Demütigung steckt.
    Ich war sehr unglücklich in dieser Zeit. In der Schule wurde ich mehr und mehr isoliert. Wenn man nirgendwohin mitgehen darf und von allen Aktivitäten außerhalb der Schule ausgeschlossen ist, dann ist man im Alter von vierzehn Jahren irgendwann sehr einsam. Es gab ein paar Freundinnen, die zu mir hielten: Isa, die ich seit meinem fünften Lebensjahr kannte, Simone und Joy, doch auch in ihrer Runde fühlte ich mich mehr und mehr isoliert. Sie hatten andere Probleme als ich, und obwohl die meisten mehr oder weniger wussten, welche Schwierigkeiten ich mit meinem Vater hatte, ahnten sie doch nicht, welche Ausmaße das Ganze angenommen hatte. Außerdem wollte ich nicht ständig bemitleidet werden. In den schönsten Stunden gemeinsam mit meinen Freunden war ich aufgekratzt und wild, lustig und voller Phantasie, und alle genossen es, in meiner Nähe zu sein, weil da immer etwas los war. Doch dann sackte all meine Energie aus mir heraus wie die Luft aus einer defekten Luftmatratze, und ich hing schlaff und niedergeschlagen bei mir zu Hause in meinem Zimmer herum. Dunkle Stunden, in denen ich keinen Ausweg sah. In denen ich unsere Familie wie von außen betrachtete und mehr und mehr erkannte, wie krank wir alle waren. Am meisten vielleicht mein Vater. Doch auch die Haltung, mit der Elke die regelmäßig wie ein Unwetter über uns hereinbrechende Gewalt akzeptierte, war alles andere als normal. Wir richteten uns im Wahnsinn meines Vaters häuslich ein, orientierten uns an seinen Launen wie andere am Stand der Sonne, lebten von einem Tag auf den nächsten, legten kühlende Kompressen bereit und entwickelten eine perfekte Routine im Beseitigen der Trümmer, die die Wutausbrüche meines Vaters hinterließen. Wir kehrten Scherben zusammen und wischten Blut auf, behandelten unsere Wunden und übermalten die Blutergüsse und atmeten auf, wenn mein Vater außer Haus war, um »dies und das zu regeln«, mit seinem Motorrad durch die Gegend zu fahren oder zu Versammlungen der Grünen zu gehen, deren Mitglied er war.
    Über alldem versank ich immer wieder in tiefe Depressionen. Ich

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