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Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meral Al-Mer
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rauszuholen. Ich war schrecklich zugerichtet: Mein Gesicht tat fürchterlich weh, vor allem die verdammte Zahnspange hatte wieder dafür gesorgt, dass meine Lippen anschwollen.
    Zitternd saß ich auf einer Bank und versuchte, mich zusammenzureißen. Wie ich es hasste, von allen angestarrt zu werden! Eben war ich noch das coole Hippiemädchen gewesen, hatte »The Doors« gehört und das Wort geführt, und jetzt war ich niemand mehr, nur noch ein kleines Mädchen, das verprügelt wird. So saß ich mit geschwollenem Gesicht und zerschlagenen Gliedern vor meinen neuen Freundinnen, versuchte verzweifelt Haltung zu wahren und schämte mich doch zu Tode.
    Es war das erste Mal, dass mein Vater mich in der Öffentlichkeit misshandelt hatte. Bislang galt als eiserne Regel, dass es niemanden etwas anging, was innerhalb unserer vier Wände geschah. Das war unsere Familienangelegenheit, und außer Rhea und Joy wusste niemand von meinen Qualen. Alles, was mir bislang als Trost geblieben war – dass ich in der Öffentlichkeit meine Würde bewahren konnte –, war nun dahin. Ab jetzt war alles möglich, mein Vater hatte die Regeln gebrochen. Ob er es dabei bewenden ließ?
    Nein. Ich konnte es ihm ansehen, wie es in ihm arbeitete und dass er wieder einmal eine Bestrafungsstrategie ausarbeitete. Noch musste er sich gedulden, bis wir zurück an Land waren, bis seine neuen Freunde sich wieder ihren eigenen Angelegenheiten zuwandten und ihn in Ruhe tun ließen, was er zu tun hatte.
    Dass es weitergehen würde, war mir spätestens klar, als mein Vater unsere kleine Schwester in die Obhut einer anderen Familie gab. Er hätte noch etwas zu erledigen, sagte er. Niemand schöpfte Verdacht. Dann forderte er Elke, meinen Bruder und mich auf, mitzukommen. Wir nahmen den Wagen, den er für die Zeit unseres Urlaubs gemietet hatte, Elke sollte fahren. Dann wandte er sich mir zu.
    »Wir fahren jetzt in den Wald«, sagte er, »und dort bringe ich dich um.«
    Wir stiegen ein, keiner sagte ein Wort. Er würde mich jetzt also endlich umbringen, na, dann wusste ich ja wenigstens, was mich erwartete. Ich hatte keine Angst. Mir war klar, dass ich im Recht war, dass ich nichts getan hatte, was das Verhalten meines Vaters rechtfertigen könnte. Ich hatte Jim Morrisons Stimme zu den unvergleichlichen Gitarrenklängen von Robby Krieger im Ohr: »This is the end«, hörte ich ihn singen, während mein Vater mich wieder einmal mit allen Schimpfworten bedachte, deren er fähig war. »No safety or surprise, the end …«, sang es in mir, als wir bei dem Wäldchen ankamen, mein Vater die Beifahrertür öffnete und sich auf den Weg übergab. Er war vollkommen betrunken.
    »Siehst du«, jammerte er, »das ist alles deine Schuld. Du bringst mich noch um. Ich glaube, da ist Blut drin, das hast du jetzt davon. Machst deinen Vater krank. Ja!«, schrie er plötzlich wieder los. »Du machst mich krank! Wegen dir spucke ich Blut! Doch das hat jetzt ein Ende.«
    Genau, dachte ich, »I’ll never look into your eyes again / Can you picture what will be / so limitless and free …«, dies war die Einstellung, die ich in diesem Sommer 95 zum Leben und zum Tod entwickelt hatte. Ich hatte schon lange nicht mehr gekifft, nicht geraucht und schon gar nichts getrunken, und in mir war eine Klarheit, die mich völlig entspannt dem entgegensehen ließ, was nun kam. Wahrscheinlich stand ich auch noch unter dem Schock von den Ereignissen auf dem Boot.
    Mein Vater holte seine Pistole, die er seit einiger Zeit hatte, unter dem Sitz hervor.
    »Steig aus«, forderte er mich auf.
    Ich kletterte aus dem Wagen, zog meine Teppichtasche hinter mir her und hängte sie um.
    »Ach«, höhnte mein Vater, »nimmst du deine Tasche jetzt auch noch mit in den Tod?«
    »Klar«, antwortete ich ganz ruhig. Schließlich enthielt sie meine Geheimnisse, alles, was einem vierzehnjährigen Mädchen wichtig war.
    Mein Vater drückte mir den Lauf der Pistole in den Rücken und befahl mir, in den Wald zu gehen. Zwischen den Bäumen lagen riesige Felsbrocken herum. Ohne Vorwarnung packte er mich an den Haaren und begann mich zu schlagen. Dazu benutzte er abgebrochene Äste, die er aufgehoben hatte. Hatte er früher darauf geachtet, auf Körperstellen zu schlagen, bei denen man die Blutergüsse und Wunden nicht gleich sehen konnte, so nahm er jetzt nicht mehr die geringste Rücksicht darauf. Nach einer Ewigkeit warf er den Stock weg und begann, mich mit Felsbrocken zu bewerfen. Ich stürzte zu Boden. Da landete ein

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