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Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meral Al-Mer
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Gelegenheit zur Hand zu haben. Ich fand Mittel gegen Kopfweh, Magenschmerzen, Grippe und Durchfall. Das alles löste ich in einem großen Glas auf und goss Orangensaft darauf. Gemeinsam mit Leyla setzte ich diesen Trunk meinem Vater, der die Augen geschlossen hielt, an die Lippen. Er nahm einen Schluck. Dann öffnete er auf einmal seine Lider und sah mir direkt in die Augen. Entweder hatte er es am Geschmack erraten, oder es war Intuition: Ich wusste, dass er wusste, was wir vorhatten, und dieser Moment war richtig gruselig. Er schob meinen Arm mit dem Glas beiseite, drehte sich um und schlief weiter. Mir klopfte das Herz bis zum Hals, als ich den Rückzug antrat.
    In dieser Zeit begann er, seine Pistole stets mit sich herumzutragen. Es konnte vorkommen, dass er sie ohne Vorwarnung zog, nur weil ihm etwas nicht passte; manchmal ballerte er auch mit ihr herum. Wenn er beim Essen einen Wutanfall hatte – und das kam oft vor –, warf er das Essen durch das Zimmer, schleuderte seinen Teller an die Wand, und wir waren inzwischen so an diese Zwischenfälle gewöhnt, dass wir uns nur duckten, um ja seine Aufmerksamkeit nicht zu erregen oder getroffen zu werden, und hinterher alles stillschweigend wieder aufräumten. Unsere Wohnung sah derart mitgenommen aus, dass Elke lieber zu ihren Freundinnen ging, als sie einzuladen, und Nachbarn an der Tür abfertigte, damit sie keine Erklärungen abgeben musste. Es war so weit gekommen, dass es nicht mehr ausreichte, Teppiche und Tischläufer zu verrücken, um die Spuren der Verwüstung zu überdecken.
    In diesen entsetzlichen Wochen setzte ich mich eines Nachts, als die beiden ausgegangen waren, an den Esszimmertisch, um Elke einen Brief zu schreiben.
    Leyla und meine Geschwister schlafen. Und ich packe meine ganze Verzweiflung in diesen Brief. Erkläre Elke, beschwöre sie, dass sie etwas unternehmen muss. Wir müssen uns retten und auch Leyla helfen.
    »Leyla«, so schreibe ich, »muss wieder zurück nach Marokko zu ihrer Familie. Doch das kann sie nicht, denn er hat sie vergewaltigt. Und nicht nur einmal, sondern viele Male, auch wenn uns das keiner glauben wird, wo sie so lange schon in unserem Haus lebt. Wir müssen ihr helfen, ihr Jungfernhäutchen wiederzukriegen, da gibt es eine Operation, ich habe das alles schon herausgefunden.
    Und wenn sie wieder in ihrer Heimat ist, dann müssen wir auch weg, denn er würde uns sonst alle umbringen. Aber das tut er sowieso eines Tages, bitte, bitte, Mama, wenn wir nicht alle sterben sollen, dann müssen wir weg. Lass uns einen Plan machen, Rhea wird uns helfen. Und vielleicht auch das Jugendamt. Erinnerst du dich, was sie gesagt haben, bevor sie gingen? Er hat mich angefasst, wollte mich vergewaltigen, du warst doch dabei! Denk daran, wie sehr auch Meli unter alldem leidet. Merkst du nicht, dass sie schon Störungen hat? Sie redet kaum und lacht nicht mehr. Sie hat Zwangshandlungen und klaut. Willst du dein Kind so aufwachsen lassen, Mama? Willst du, dass Hamid eines Tages auch sie anfasst und mit der Pistole bedroht? Und Mourad? Auch er wird immer stiller und ist sehr unglücklich.
    Wir müssen nach und nach heimlich unsere Sachen zusammenpacken, wenn Papa bei der Arbeit ist. Und dann müssen wir einfach verschwinden, solange er weg ist. Und keine Spuren hinterlassen. Wach auf, Mama, denn wenn du so weitermachst, bist Du nur noch ein Zombie …«
    Plötzlich höre ich den Schlüssel in der Tür. Sie kommen früher nach Hause als sonst. Ehe ich den Brief verstecken kann, steht mein Vater schon im Zimmer.
    »Du bist noch auf?«
    Sein Blick wandert über den Tisch zu den Seiten, die ich gerade zusammenfalte.
    »Was machst du da?«
    »Ich schreibe einen Brief«, sage ich mit klopfendem Herzen.
    »So? Einen Brief? An wen denn?«
    »An meine Mutter.«
    Er bohrt seinen Blick in meinen. Wenn er mir jetzt den Brief wegnimmt und liest, dann weiß er alles. Und dann wird er mich wirklich umbringen.
    »Wieso denn das?«, will er wissen. »Redet ihr nicht mehr miteinander?«
    »Doch.«
    Wieder sieht er mich prüfend an.
    »Ah«, meint er dann, »du schreibst an deine richtige Mutter?«
    »Ja.«
    Er verliert das Interesse und geht zur Treppe.
    »Ach so«, sagt er. »Aber jetzt ins Bett, es ist schon spät.«
    Und während mein Vater nach oben geht, drücke ich Elke rasch den Brief in die Hand.
    »Du übertreibst«, sagt sie am nächsten Tag zu mir, als mein Vater zur Arbeit gegangen ist. »So schlimm ist es nicht.«
    »Doch, Mama«, widerspreche

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