Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)
war.
»Macht Euch keine Sorgen«, schrieb ich, »wenn Ihr dies hier lest, bin ich verreist. Ich besuche einen Freund im Iran und bin zum Ende der Schulferien wieder zurück. Eure Meral.«
Am Morgen meiner Reise checkte ich in Düsseldorf ein und gab meinen Koffer ab. Meine Route ging über London, wo ich umsteigen musste. Es war alles in Ordnung, bis ich in London in das Flugzeug nach Teheran einsteigen wollte. Die Stewardess sah beim Boarding meinen Pass an, sagte: »Einen kleinen Moment bitte, warten Sie hier«, und eine Minute später hatte ich Kabelbinder an den Händen. Zu meinem Entsetzen kassierte mich die Polizei ein, führte mich ab und eskortierte mich mit dem nächsten Flieger zurück nach Deutschland.
Dort nahm mich die deutsche Polizei in Empfang und fuhr mich zu meiner Wohnung, wo schon mehrere Mitarbeiter des Jugendamts auf mich warteten. Barbara hatte ja Urlaub, also sah ich mich ihrer Vertretung gegenüber, die ich kaum kannte.
Ich war inzwischen rasend vor Zorn. Was fiel diesen Leuten eigentlich ein? Monatelang hatte ich auf das Ticket gespart, und jetzt war alles umsonst! Einzig und allein mein Koffer war nun unterwegs in den Iran, und diese Idioten behandelten mich wie eine Verbrecherin. Ich schrie und tobte, schlug um mich und war nicht zu beruhigen.
Sie versuchten mir zu erklären, dass ich noch zu jung sei, um eine solche Reise allein anzutreten; schließlich war ich noch nicht volljährig. Ich wollte diesen Quatsch nicht hören, natürlich konnte ich diese Reise machen, was dachten sie sich eigentlich, schließlich wohnte ich hier in diesem gefährlichen Viertel ganz allein und hatte schon viel schwierigere Situationen bewältigt.
Sie sperrten mich in meiner Wohnung ein, und mir blieb nichts anderes übrig, als diese vor Wut völlig zu verwüsten. Ich rief Rhea an, schrie sie an, sie müsse mich hier rausholen, dann tobte ich weiter. So ging das viele Stunden lang. Irgendwann schlossen sie die Tür wieder auf, vielleicht hatten sie gehofft, dass mir inzwischen die Luft ausgegangen sei, doch das war keineswegs der Fall. Auf diese Gelegenheit hatte ich nur gewartet. In meinem langen Mantel rannte ich hinaus ins Treppenhaus.
»Wenn ihr mich nicht in den Iran lasst«, schrie ich, »dann bringe ich mich um.«
Als sie mich wieder ergreifen wollten, machte ich meine Drohung wahr, kletterte auf das Treppengeländer und sprang. Ich wohnte im dritten Stock, doch schon im zweiten blieb ich mit meinem Mantel am Geländer hängen. Ich schrie, lachte, war völlig hysterisch, und als sie mich von dem Geländer gepflückt hatten, ging das »Fass-mich-nicht-an«-»Rühr-mich-nicht-an«-Gerangel weiter. In dem Durcheinander brach ich einer Mitarbeiterin des Jugendamts den Daumen, was die Frau mir nie verzeihen sollte. Irgendwann kam der psychiatrische Notdienst und überwältigte mich. Meine Reise, die so schön begonnen hatte, endete in der geschlossenen Abteilung der Jugendpsychiatrie.
Hier bekam ich klare Ansagen: »Entweder du benimmst dich jetzt, oder du bekommst diese Spritze!« Ich hatte die Wahl zwischen zwei Dingen, einen dritten Weg gab es nicht. Das war ein sehr seltsames Gefühl, denn zum ersten Mal, seit ich der Gewalt meines Vaters entronnen war, sah ich mich einer solchen Übermacht gegenüber. Es war eine unerträgliche und extrem demütigende Erfahrung für mich: Diese Leute konnten mir sagen, was passierte. Entweder ich gab Ruhe, oder sie taten mir Gewalt an. So schwer es mir fiel, ich riss mich zusammen.
Das alles war an einem Freitag passiert, und erst am Montag kam die zuständige Ärztin. Ich konnte es nicht erwarten, mit einem »vernünftigen« Menschen zu sprechen und ihm alles zu erklären, und ich war mir sicher, dass sich dann alles aufklären würde. Man tat mir Unrecht. Auch wenn ich erst sechzehn war und in wenigen Wochen siebzehn wurde, so war ich durchaus in der Lage, eine solche Reise anzutreten. Das ganze Wochenende hörte ich Curtis Mayfield, der ein Jahr zuvor querschnittsgelähmt worden war, als während eines Konzerts ein Beleuchtungsturm auf ihn stürzte. Seine Musik gab mir ungeheuer viel Kraft in diesen Tagen.
Hush now child,
and don’t you cry,
your folks might understand you
by and by.
Move on up
towards your destination.
You may find
from time to time
complications
Bite your lip
and take a trip.
Though there may be -
wet road ahead,
you cannot slip.
Just move on up
and peace you will find
into the steeple
of beautiful people,
where
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