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Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meral Al-Mer
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Haare wachsen. Er hörte nach diesem Ereignis auch auf, Bass zu spielen, und begann stattdessen, seinen Körper zu trainieren und einen Kampfsport zu lernen. War er vorher lustig und ausgelassen, voller verrückter Ideen gewesen, so war er nun ernst und still. Diese Veränderungen taten mir mehr weh als alle Schläge, die ich von meinem Vater je ertragen hatte.
    Danach war klar, dass ich nicht länger in Viersen bei Elke wohnen bleiben konnte. Die Strecke zwischen meiner Schule und unserem Zuhause wurde mehr und mehr zu einer Falle: Hier konnte mich mein Vater jederzeit abpassen. Und so schlug das Jugendamt vor, dass auch ich ausziehen sollte und im Rahmen eines Programms mit »Betreutem Wohnen« in einer eigenen Wohnung leben sollte. Möglichst nicht in Mönchengladbach, wo mir jederzeit jemand über den Weg laufen könnte, der meinem Vater meinen neuen Aufenthaltsort verraten würde, sondern etwas weiter weg – in Neuss.
    Ich werde meinen Abschied aus Viersen nie vergessen. Ich war entsetzlich traurig und niedergeschlagen, die Aussicht, von nun an ganz alleine zu wohnen, ängstigte mich. Weinend packte ich meine Sachen zusammen, während Elke und die Betreuerin vom Jugendamt danebenstanden und warteten. Elke war in solchen Situationen, in denen ich emotional reagierte, meist sehr gefasst und pragmatisch. Ich aber hatte das Gefühl, dass meine Kindheit nun endgültig vorüber war, oder wenigstens das, was davon übrig geblieben war.
    In Neuss erhielt ich eine Wohnung in einem Industriegebiet, an das ein Neubaugebiet angrenzte. Die Sozialarbeiter und Betreuer hatten im selben Haus ein Büro, doch abends und nachts war ich die einzige Bewohnerin weit und breit. In meiner neuen Schule wurde niemand darauf vorbereitet, was ich hinter mir hatte, weder die Lehrer noch meine Mitschüler konnten verstehen, warum ich so seltsam war: Ja, ich war laut und aufmüpfig, launisch und fühlte mich rasch angegriffen. Da ich ständig stoned war, kam ich dauernd zu spät, war albern und quatschte dazwischen. Alle waren genervt, aber keiner fragte nach. Sie sahen meine äußere Fassade, und die war grell und provozierend, denn inzwischen gab es keinen mehr, der mir Grenzen aufgezeigt hätte. Elke hatte mir nie etwas verboten, und jetzt ließ ich mir schon gar nichts mehr von ihr sagen. Und so testete ich die Grenzen aus und überschritt sie mit Siebenmeilenstiefeln; ich trug Sachen, wie man sie eher bei einer Prostituierten erwartet, und schminkte mich krass. Dazu benutzte ich viel Kajal, umrahmte meine Augen und malte mir große Blüten in die Augenwinkel, verzierte sie mit Strass, die ich mit Sekundenkleber auf meine Haut auftrug. Und obwohl ich mich nach außen cool und selbstbewusst gab, fühlte ich mich extrem schnell angegriffen. Ich fühlte mich schrecklich allein – was ich ja auch war – und hätte mir gewünscht, dass jemand nach mir schaute und mir liebevoll einen Rahmen setzte und ihn mir auch erklärte. »Schatz, diese hochhackigen Schuhe solltest du nicht zur Schule anziehen, lass die mal lieber fürs Wochenende, wenn du ausgehst.« Oder: »Dieses Makeup ist klasse, ich finde aber, es passt besser für einen Discobesuch als für die Schule.« So aber urteilten die Lehrer schnell und taten mich als »dumme Tussi« ab.
    Ich hatte eine nette Betreuerin, die ich gerne mochte. Barbara holte mich an manchen Tagen von der Schule ab und ging mit mir Lebensmittel einkaufen. Dabei war ich sehr stolz darauf, ganz sparsam zu sein und mit weniger Geld auszukommen, als mir eigentlich zugestanden hätte. Barbara kam nachsehen, ob alles in Ordnung war, ob ich auch was zu essen im Kühlschrank hatte, und vergewisserte sich, dass ich nicht im Chaos unterging. Allerdings merkte sie nicht, wie dringend ich jemanden gebraucht hätte, mit dem ich über meinen familiären Hintergrund hätte reden können. Denn noch immer hing mir das alles nach und sorgte dafür, dass ich in meiner neuen Schule Schwierigkeiten bekam.
    Ich kiffte viel in dieser Zeit, hatte immer wieder wechselnde »Knutschfreunde«, mit denen zwar nichts Ernsthaftes lief, aber genug, um die ganze Klasse durcheinanderzubringen. Dabei bemühte ich mich sehr, die Anerkennung meiner Lehrer zu gewinnen. Besonders meine Religionslehrerin mochte ich sehr, und ihre Meinung war mir wichtig. Dabei besuchte ich gerade diese Stunden ja als Muslimin freiwillig, weil mich das Thema immer schon interessiert hatte.
    Einmal gab uns diese Lehrerin eine ungewöhnlich kreative Aufgabe. Wir

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