Nicht ohne meine Schokolade
sich um jene spezielle Art von Videokassetten handelte, die für Aufnahmen in einem Camcorder benutzt werden und später in einem Videorecorder abgespielt werden können.
War es dieses Band gewesen, hinter dem der Eindringling hergewesen war? Hatte sie ihn dabei gestört, als er die Kassetten im Wohnzimmer durchkämmte? Das würde die fehlende Ordnung im Hifi-Schrank erklären.
Wie praktisch, dachte sie, als sie das Band in ihre Segeltuchtasche gleiten ließ. Wie nett, daß mir solch ein Beweisstück geradezu in den Schoß fällt.
Sie beschloß, sich nicht zu sehr darüber zu freuen. Statt dessen würde sie weiter das tun, womit sie begonnen hatte, als sie angekommen war. Sie würde die Photos und Dokumente einsammeln, die ihr einen Einblick in Jonathan Winstons Leben geben konnten.
Das Band war interessant; sie freute sich darauf, es sich anzusehen. Aber Savannah hatte schon vor langer Zeit gelernt, in diesem Geschäft keinem Hinweis zu trauen, der ihr allzuleicht zufiel.
Savannah saß in ihrem vielbenutzten und heißgeliebten Sessel, einem dick gepolsterten Lehnstuhl, der mit malvenfarbenem Chintz überzogen war. Sie hatte sich ein mit Rosen bedrucktes und mit Satin eingefaßtes Kissen in den Rücken gelegt und war von ihren Lieblingssachen umgeben: ihrem Plüschbademantel, ihrem neuen Seidenpyjama von Victoria’s Secret, Diamante, Cleopatra und einem Teller mit einem üppigen Dessert. Aber ihre Stimmung war noch immer mies.
Sie war selten so niedergeschlagen, daß sich ihre Stimmung nicht durch ein riesiges Stück Schokoladenkäsekuchen — mit französischer Sahnecreme bestrichen — heben ließ. Ihre letzte Entdeckung in Sachen Hedonismus bestand aus einem zusätzlichen Gläschen dieses delikaten Himbeerlikörs. Ein kulinarischer Höhenflug dieses Ausmaßes konnte sie mindestens eine Woche lang bei Laune halten. Aber jetzt waren es schon anderthalb Wochen, und sie beschloß, ihre nie endende Suche nach dem, was sie liebevoll als »den vollendeten Konsum« bezeichnete, wiederaufzunehmen. Käsekuchen brachte es einfach nicht mehr.
»Tut mit leid, Ladies«, sagte sie zu den Katzen, die sich um ihre Arme und Beine wickelten, sich an ihr rieben, schnurrten und um einen Bissen bettelten. »Das hier ist eindeutig Menschenfutter. Ich habe ja auch nichts von eurer Dorschleberpastete gewollt... oder was dieses stinkende Zeug war. Geht runter.«
Zu ihrer Überraschung gehorchten sie — ein seltenes Ereignis.
Sie waren kaum in Richtung Küche verschwunden, als sie sie schon vermißte. Scheinbar war dies einer der Abende, an denen sie es nicht so sehr genoß, allein, frei, unabhängig und unbelastet von etwas so Erstickendem wie einer festen Beziehung zu sein.
Nach einem Tag wie dem heutigen mußte sie sich manch- ; mal eingestehen, daß es schön wäre, jemanden zu haben, zu dem man nach Hause kommen könnte. Jemanden, mit dem man kuscheln konnte, den man lieben konnte, zur ‘ Hölle... mit dem man streiten konnte. Einfach nur einen | Menschen.
Während sie den letzten Bissen ihres Käsekuchens zu sich nahm und jedes kleinste Kuchenmolekül von der Gabel leckte, ergab sie sich in ihr Schicksal: sie mußte sich die Videokassette ansehen, die auf ihrem Kaffee tisch lag. Normalerweise wäre sie ganz wild drauf gewesen, das Band in den Videorecorder zu schieben und zu sehen, was sie da hatte. Aber heute nacht hatte sie den Augenblick bis nach! dem Abendessen, dem Schaumbad, das sie zuvor hatte sausen lassen müssen, und dem Dessert hinausgeschoben.
Es wird Zeit, Mädchen, sagte sie sich selbst, als sie sich von ihrem Stuhl erhob, einen OP-Handschuh überstreifte und das Band in die Hand nahm. Dann wollen wir uns mal ein kleines Heimvideo anschauen. Wahrscheinlich ziemlich langweilig - Ferienbilder, ein Baby, das über den Boden krabbelt oder dem der Brei übers Gesicht läuft. Man sollte die Hoffnung nie aufgeben.
Hoffte sie tatsächlich, daß das alles war? Selbst der Gedanke verwirrte sie. Savannah war immer stolz auf ihr hohes Maß an Ehrgeiz und Zähigkeit gewesen, wenn es um ihren Job ging. Seit wann ertappte sie sich dabei, daß sie hoffte, keine Spur zu finden? Vielleicht verweichlichte sie auf ihre alten Tage so langsam.
Nachdem sie das Band eingelegt hatte, kehrte sie zu ihrem Stuhl zurück und nahm die Fernbedienung vom Eßtisch neben sich.
»Na dann gib Gas«, flüsterte sie, als sie den Knopf drückte und sich zurücklehnte, bereit, sich einen ganzen Film über Disneyland, Erinnerungen stolzer
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