Nicht ohne meinen Mops
wichtig sein, Reiseberichte in die Mongolei sehr spannend, Thriller etwas für Hartgesottene. Doch ich habe Blut geleckt und will wissen, was die Welt zwischen all den Buchdeckeln noch zu bieten hat. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass gezieltes Lesen für mich bislang vor allem eine Tätigkeit war, die ausschließlich Menschen mit dicken Brillen und dicken Hintern jenseits der 50 Jahre ausüben. Meinen Deutschlehrern sei Dank, waren mir Bücher seit der achten Klasse vergällt. Stundenlang einzelne Sätze zerpflücken? Entsetzlich! Doch ohne Pauker im Nacken kann Lesen die (zweit-)schönste Sache der Welt sein.
Diese Erkenntnis treibt mich an einem Novembermittwoch in die heiligen Hallen der Stadtteilbücherei nach Degerloch. Laut Rolf, der einige Jahre da oben gewohnt hat, die schnuckeligste Adresse, zumal die Bücherei im Wilhelmspalais von einer Vision eines schneeweißen Bücherturms überlagert wird. Earl muss an diesem Tag zu Hause bleiben, denn ich gehe fest davon aus, dass es zwischen den Bücherregalen keine Hundeklos gibt. Als ich die gläserne Flügeltür öffne, schlägt mir der Mief von nassen Jacken und Mänteln entgegen, die an den Garderobenständern im Eingangsbereich vor sich hin tropfen. Scheinbar ist es in Leserkreisen nicht üblich, sich einen Schirm zu nehmen, obwohl es draußen seit Tagen nieselt. Ich schüttele also meinen Regenschirm mit dem Sparkassenaufdruck (ein Überbleibsel aus jener Zeit, da ich noch mein Sparschwein zum Weltspartag schleppte, um anschließend ein Werbegeschenk nach Hause zu tragen) aus und stelle ihn in den dafür vorgesehenen Ständer. Einsam und verloren parkt mein Schirmchen. Meine Jacke hingegen hat feudale Gesellschaft – neben ökologisch korrekten Parkas und Fleecejacken hängt eine Lederjacke (sicher echt) und ein Pelz (hoffentlich nicht echt!).
Und dann ist es so weit: Ich schwebe in die Bibliothek. Der Teppich auf dem Boden ist so saugfähig, dass meine ausgelatschten Allwetterwanderschuhe im Nu zu trocknen scheinen. Zum Glück ist er bei dem Wetter auch schmutzig, so dass meine ausgelatschten Allwetterwanderschuhe nicht weiter auffallen. Ohnehin würde niemand auf meine Schuhe starren – an den locker im Raum verteilten Tischen sitzen Menschen, die sich tiefer über die vor ihnen liegenden Bücher beugen, als es selbst im Yoga gesund wäre. Keiner hebt den Kopf, jeder bleibt mit der Nase ganz nah dran an den Buchstaben. Manche haben sich regelrecht hinter Bücherstapeln verschanzt. Im hinteren Teil, halb verborgen von Regalen, erkenne ich eine mit Gummibäumen abgetrennte Ecke, in der Kaffeehaustische stehen. Hinter einem halbrunden Tresen thront eine Richtung nette Großmama tendierende Frau. Ohne Brille, aber mit Dutt und Rüschenbluse. Ich nehme an, das ist die Empfangsdame. Sie würde nicht in Frau Emmies Etablissement passen!
»Guten Tag!«, rufe ich fröhlich.
»Pscht«, zischt die Omi.
»Pscht!!!«, zischt es hinter mir an den Tischen.
Ich ziehe den Kopf ein und schleiche zum Tresen.
»Guten Tag«, flüstere ich.
»Guten Tag«, antwortet die Dame in ganz normaler Zimmerlautstärke. Dieses Mal bleibt das vielmundige Zischen aus.
»Ich hätte gerne einen Ausweis, also, einen Bücherausweis, ich meine, ich will Kunde werden …«, stammele ich. Die Rüschenbluse gepaart mit dem strengen Blick der Wächterin aller Bücher bringt mich aus dem Konzept. Blüslein aber lächelt milde und greift ohne hinzusehen nach einem Formular.
»Dann sollten Sie das hier ausfüllen«, erklärt sie mir. »Ich bekomme dann fünf Euro Bearbeitungsgebühr. Die Nutzungsgebühr beträgt regulär zehn Euro, drei Euro für Studenten, sieben Euro für Alleinerziehende.« Blüslein schnurrt die Nutzungsbedingungen herunter und tippt dann mit ihren dürren Fingern auf das Formular. »Hier unterschreiben, Sie können den Betrag auch abbuchen lassen.«
Ich nicke und entschwinde an einen der freien Tische. Zehn Euro? Mannomann – Bildung ist ganz schön teuer. Fast zu teuer für jemanden wie mich. Hartz IV sieht keine Bücher vor. Andererseits … ich bin hier, um zu lernen. Also quasi als Studentin der Literatur. Ein ganz klein wenig muckt mein Gewissen, als ich mich per Kreuzchen auf dem Zettel als Studentin ausgebe. Aber nur ein wenig, denn mit den sieben gesparten Euros kann ich mir fast zehn Kugeln Eis kaufen. Oder jeden Monat beinahe ein Taschenbuch für das Bücherregal, das ich noch nicht besitze, das aber sicher gut zu meiner Tiffanydame passen wird.
Mit
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