Nicht ohne Risiko (German Edition)
gerungen. Genau davon hatte er sich von Anfang an so angezogen gefühlt – abgesehen von der körperlichen Anziehung natürlich. Sie war so unaufdringlich, zurückhaltend, gelassen und ruhig gewesen. Wenn sie ihn bewusst gereizt hätte, ihm lange bedeutungsvolle Blicke zugeworfen und ihn mit körperlichen Reizen geködert wie die meisten ihrer Mitstudentinnen, dann hätte er keinen zweiten Blick an sie verschwendet. Na ja, vielleicht schon einen zweiten Blick, aber sie hätte ihn nie derart in ihren Bann geschlagen.
Selbst als sie schon Monate miteinander gingen, hatte Emily nie etwas als selbstverständlich betrachtet. Sie hatte nie Forderungen an ihn gestellt. Oder doch? Er hatte sie noch vor Augen, wie sie an jenem Samstagmorgen mit dem Bus bis zu seiner Wohnung gefahren war, weil er nicht auf ihre Telefonanrufe reagiert hatte. Er war erst ein paar Wochen zuvor aus dem Krankenhaus entlassen worden, und sie machte sich Sorgen um ihn. Aber selbst damals hatte sie nichts von ihm verlangt – sie hatte nur wissen wollen, ob es ihm gut ging.
„Tun Sie einfach, was Sie können“, unterbrach Felipe seine Gedanken. „Sagen und tun Sie nichts, was Sie normalerweise nicht sagen oder tun würden. Wir wollen ihn nicht misstrauisch machen.“
„ Ich könnte Delmore fragen, ob er uns auf einen Segeltörn mitnimmt“, warf Jim ein. „Wenn er dich heute Abend abholt. Nachdem du uns einander vorgestellt hast. Einverstanden?“
Emily nickte. Sie sah ihn dabei nur kurz an.
Gott, jedes Mal wenn sie ihn anschaute, war das Misstrauen in ihrem Blick nicht zu übersehen. Es war so dumm von ihmgewesen, sie unten am Strand so in die Arme zu nehmen. Wie hatte er sich nur so idiotisch verhalten können? Hatte er denn wirklich geglaubt, Emily wolle von ihm getröstet werden? Das war mit Sicherheit so ziemlich das Letzte, was sie wollte.
In Wirklichkeit hatte er lediglich einen Vorwand gebraucht, um sie zu berühren. Um mit den Fingern durch ihr Haar zu streichen, ihren Körper an seinem zu spüren. Er hatte sie küssen wollen. Großer Gott, er wollte es immer noch, und jetzt wusste sie das.
Das hast du ja toll hingekriegt, Keegan, dachte er. Einfach toll. Sie stand ohnehin schon unter immensem Druck, und er machte alles nur noch schlimmer.
Es klingelte, und Jim warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war erst Viertel vor vier. Delmore wurde erst in knapp drei Stunden erwartet.
„Wer kann das sein?“, fragte er.
„Keine Ahnung“, antwortete Emily, stand auf und musterte verunsichert die Tür. „Es könnte Alex sein. Er ist gestern auch einfach vorbeigekommen, ohne vorher anzurufen.“
Als es erneut klingelte, erhob sich auch Salazar.
„Phil, mach dich unsichtbar“, forderte Jim seinen Partner auf. „Versteck dich in Emilys Schlafzimmer, durch den Flur ganz nach hinten. Wenn es wirklich Delmore ist, darf er dich nicht sehen.“
Salazar nickte und verschwand in den Flur. Wieder ging die Türglocke, diesmal gleich zweimal kurz hintereinander.
„Soll ich öffnen?“, fragte Jim.
Emily schüttelte den Kopf und ging zur Tür. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie aufmachte.
„Gott sei Dank: Du bist zu Hause!“
Jim spähte über Emilys Schulter. In der Tür stand eine erschreckend magere junge Frau mit langen roten Haaren und sehr blasser Haut, die Floridas Sonne vermutlich überhauptnicht vertrug. Außerdem zierte ein prachtvolles Veilchen ihr rechtes Auge. An eine Hand klammerte sich ein schmutziger kleiner Junge von etwa drei Jahren mit ebenso roten Haaren und großen ernst dreinblickenden Augen.
Als die Frau Jim entdeckte, verschwand die Erleichterung aus ihrem Gesicht, und ihr Ausdruck wurde misstrauisch und verschlossen. Sie trug eine braune Papiertüte mit Kleidung und Kinderspielsachen bei sich, aus der eine schmuddelige Bibo-Puppe hervorlugte.
„Entschuldigung“, murmelte sie. „Du hast Besuch?“
„Jewel“, sagte Emily. „Was ist passiert? Wer hat dich geschlagen? Komm doch rein.“
Jim trat beiseite. Emily nahm die junge Frau am Ellbogen und zog sie mit sanftem Nachdruck in die Wohnung. Die Rothaarige war noch jünger, als Jim zunächst gedacht hatte, im Grunde noch fast ein Kind. Sie war hübsch, auf altmodische Weise. Beziehungsweise wäre sie es gewesen, wenn sie sich mal gewaschen hätte oder gelegentlich gelächelt. Ihre Züge wirkten aristokratisch: eine lange, elegant geschnittene Nase, feine Lippen, ein graziöser, aber schmutziger Hals. Sie musterte Jim misstrauisch, und er
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