Nicht ohne Risiko (German Edition)
über die Härte in ihren Worten und in ihrem sonst so sanftmütigen Gesicht. Diese Seite an ihr kannte er noch nicht. Er vermutete, dass es sie noch nicht gegeben hatte – damals als sie gerade achtzehn war. Damals, bevor sie durch Männer wie Alexander Delmore abgestumpft war. Männer wie Delmore und – wem versuchte er eigentlich etwas vorzumachen? – wie ihn selbst.
Er hatte sie damals verlassen, weil er geglaubt hatte, ein kurzer Schmerz sei besser als die Qualen, die er ihr auf längere Sicht zufügen würde. Weil er das Gefühl gehabt hatte, das Glück nicht zu verdienen, das er bei ihr gefunden hatte. Weil er geglaubt hatte, sie zu verderben, wenn sie zusammenblieben. Also hatte er sie verlassen – und sie damit verdorben.
Aber dann bemerkte er, dass ihre Unterlippe zitterte. Plötzlich schossen ihr Tränen in die Augen. Sie stieß einen Fluch aus, den er noch nie zuvor aus ihrem Mund gehört hatte, wandte sich ab und versuchte ihre Tränen vor ihm zu verbergen. Zu spät. Er hatte sie bereits gesehen.
Er streckte die Hand nach ihr aus, aber sie wich hastig zurück. Dabei stolperte sie über den hölzernen Steg, der Bank und Tisch miteinander verband, und fiel der Länge nach in den weichen Sand. Jim war blitzschnell auf den Beinen, aber sie war noch schneller. Sie rappelte sich auf und rannte denmenschenleeren Strand hinunter.
Jim rief ihr nach: „Emily, warte!“
Sie blieb nicht stehen.
Verdammt, sie hatte ihre Handtasche auf dem Tisch liegen lassen. Jim rannte zurück, klemmte sie sich unter den Arm und rannte Emily nach.
Sie hatte einen gewaltigen Vorsprung, aber er hatte die längeren Beine und war Langstreckenlaufen gewöhnt. Trotzdem kostete es ihn einige Anstrengung, sie einzuholen.
„Emily, bleib stehen!“ Da sie nicht reagierte, packte er sie am Arm.
„Lass mich in Ruhe!“ Sie wehrte sich, versuchte sich loszureißen, aber er hielt sie nur noch fester.
Wütend schlug sie mit der Faust nach ihm, erwischte ihn aber nicht richtig. Ihr Schlag streifte wenig wirkungsvoll seine Schulter. Jim wusste, dass sie sich selbst damit stärker wehgetan hatte als ihm.
Jetzt weinte sie richtig. Nicht vor Schmerz, sondern vor Wut. Sie versuchte die Tränenflut zu stoppen, wegzuwischen – vergebens. Wieder schlug sie nach ihm, und er zog sie fest an seine Brust.
„Emily, hör auf. Bitte …“
Emily spürte, wie ihre Kräfte sie verließen, als er sie in die Arme schloss. Sie konnte nicht aufhören zu weinen. Heftiges Schluchzen schüttelte ihren Körper, und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als sich an Jims Brust fallen zu lassen und sich dort geborgen zu fühlen.
Wenn sie die Augen schloss, konnte sie sich einreden, sie wäre wieder achtzehn. Konnte so tun, als hätte er sie wirklich geliebt und …
Sie spürte seine Finger in ihren Haaren, die vertraute Hitzewelle sexuellen Verlangens, die sie immer überrollt hatte,wenn er sie so berührt hatte. Der Auslöser war immer seine Sanftheit, seine Zärtlichkeit gewesen. Ach was, gewesen, er war es offenbar immer noch.
Verdammt noch mal, was war eigentlich los mit ihr? Wie konnte sie auf diese Weise an Jim Keegan denken? Wie konnte sie zulassen, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte? Sie wusste doch ganz genau, wie er in Wirklichkeit war!
Mit letzter Kraft versuchte sie sich zu wehren und von ihm loszureißen. Es gelang ihr nicht. Stattdessen schloss er die Arme nur noch fester um sie. Wütend hob sie das tränenüberströmte Gesicht, um ihn anzusehen. Nur wenige Zentimeter lagen zwischen ihrem und seinem Gesicht, ihrem und seinem Mund. Als sie ihm in die Augen schaute, sah sie, wie das tiefe Blau seiner Iris fast im Schwarz der Pupillen verschwand, als diese sich plötzlich weiteten. Sie wusste ohne jeden Zweifel, dass er sie küssen würde, und ihre Wut schlug sofort in Angst um. Angst und noch etwas anderes, etwas weitaus Verstörenderes.
„Emily.“ Ein Flüstern nur. Er beugte sich zu ihr hinab.
„Nein“, sagte sie, und er erstarrte. Gerade mal ein Zentimeter lag noch zwischen ihren Lippen. „Bitte, wenn du auch nur einen Funken Anstand hast …“
Er ließ sie augenblicklich los. Oh Gott, was hatte er getan? Was hatte er sich dabei gedacht? Offensichtlich hatte er den Verstand verloren, nur weil er sie einen Moment in den Armen gehalten hatte.
Sie starrte ihn an, mit großen anklagenden Augen. Die Tränenflut war versiegt, aber ihr Gesicht war noch nass, und in den Wimpern hing eine letzte einzelne Träne. Obwohl Jim
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