Nicht ohne Risiko (German Edition)
klar, dass er besser keine Diskussion anfing. Sie hörte ihm zu, und mehr konnte er nicht verlangen.
„Vor acht Jahren …“ Mühsam suchte er nach den richtigen Worten. Worte, die alles erklärten. Die dafür sorgen, dass sie verstand, was er all die Jahre mit sich herumgeschleppt hatte und immer noch mit sich herumschleppte. „Ich war vierundzwanzig und arbeitete bei der New Yorker Polizei. Gerade war ich zum Detective befördert worden, und alles lief wunderbar. Ich wohnte in Brooklyn, in einer Wohnung im Haus meines Bruders Bob. In Bobs und Mollys Haus. Er war … verheiratet. Die beiden hatten ein Baby, ein kleines Mädchen namens Shannon. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben Onkel. Bob hatte eine gut bezahlte Arbeit, und sie brauchten die Miete für die Wohnung nicht, aber er war mein großer Bruder. Obwohl wir beide längst erwachsen waren, kümmerte er sich immer noch um mich.“
Jim schwieg einen Moment. „Ja, alles lief wunderbar. Die Wohngegend war nicht die beste, aber auch das war okay, denn ich war ja Polizist. Jeder wusste, dass ich auf dem zwölften Revier arbeitete.“ Er lachte. „Ich glaube, die Immobilienpreise sind ein wenig angestiegen, als ich eingezogen bin. Keine Angeberei, das ist in solchen Wohngegenden tatsächlich so.“ Er lachte noch einmal. „Bob behauptete natürlich, die Immobilienpreise würden noch viel mehr steigen, wenn ich für die Mafia arbeiten würde.“
Emily hörte zu und starrte hinaus auf das in der Dunkelheitsanft leuchtende und glitzernde Wasser des Ozeans. Jims rauer New Yorker Akzent kam stärker durch, während er erzählte, als würde er irgendwie in die Vergangenheit zurückgeholt.
„Es war Sommer“, fuhr er fort, „und ich arbeitete in einem Team, das den Auftrag hatte, Straßengangs unter Kontrolle zu bringen. Einige der jugendlichen Gangmitglieder waren gerade mal dreizehn, liefen mit automatischen Waffen herum und pusteten andere Kinder um, nur weil die zur falschen Gang gehörten. Zugleich gab es Bandenmitglieder, die um die vierzig waren. Ich habe dabei geholfen, einige der älteren Mitglieder einer Gang hinter Gitter zu bringen, und sie …“
Emily hörte, wie er seine Sitzposition änderte, und warf einen Blick zu ihm hinüber. Sie konnte ihn kaum noch sehen, nahm aber wahr, dass er sich mit den Händen durch die Haare fuhr. Er räusperte sich – ein unerwartetes, lautes Geräusch in der Dunkelheit.
„Die Gang hat sich gerächt“, fuhr er fort. „Sie haben herausgefunden, wo ich wohnte. Sie sind an dem Haus vorbeigefahren, als ich von der Arbeit gekommen bin, und haben mich wegpusten wollen. Aber sie haben einen Fehler gemacht. Sie haben nicht mich getötet. Nein, diese Hundesöhne haben nicht mich erwischt.“ Seine Stimme zitterte, aber er redete weiter. „Sie haben Bob umgebracht. Meinen Bruder. Sie haben ihn einfach abgeknallt wie einen räudigen Hund.“
Von Emily kam ein kleiner erstickter Laut, der Jim zeigte, dass sie aufmerksam zuhörte. Und er sah, wie sie sich langsam auf einen der hölzernen Liegestühle sinken ließ.
„Acht Jahre, Em“, sagte er leise. „Das geschah vor acht Jahren, und es tut immer noch genauso weh, als wäre es erst gestern geschehen.“
Im Haus ging eine zeitgesteuerte Lampe an. Ihr Licht fiel durchs Fenster auf die Veranda und beleuchtete sie beide.
Emily schaute ihn an, und in ihren Augen sah sie den Schmerz, von dem er wusste, dass er sich auch in sein Gesicht gegraben hatte.
„Molly hat mir nie vergeben. Sie sagt zwar, sie hätte mir vergeben und es wäre nicht meine Schuld, aber ich weiß, dass sie mich dafür hasst. Gott, ich habe mich selbst gehasst. Ich konnte weder Molly noch meiner Mutter ins Gesicht sehen. Ich kann meiner Mutter immer noch nicht ins Gesicht sehen. Wir haben seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen. Sie ruft mich alle paar Monate an, spricht mir auf den Anrufbeantworter, aber ich schaffe es einfach nicht. Ich ertrage es nicht, sie anzurufen.“
Jim schaute auf, konnte Emilys Blick aber nicht standhalten. Seine Augen verrieten grausame Seelenqualen und abgrundtiefe Verzweiflung. „Manchmal hasse ich mich heute noch“, flüsterte er.
„Es tut mir so leid“, murmelte Emily.
„Das war noch nicht alles.“ Seine Stimme klang hart. „Es kommt noch schlimmer.“
Noch schlimmer als der Tod seines Bruders? Emily versuchte sich vorzustellen, wie es wohl wäre, sich für den Tod ihres Bruders Danny verantwortlich zu fühlen, aber es gelang ihr nicht. Sie konnte
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