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Nicht schießen, Johnny!

Nicht schießen, Johnny!

Titel: Nicht schießen, Johnny! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ball
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beobachtete er den Gehsteig, das Buschwerk, spähte in Nebenstraßen, über Zäune, in Hauseingänge, ohne jedoch irgend etwas zu entdecken. Er kam an dem verödeten Schulhof vorbei, wo das Ganze angefangen hatte, und gelangte dann in das Villenviertel, wo die Familie Hotchkiss wohnte. Als er noch drei oder vier Minuten von seinem Ziel entfernt war, erwachte das Funksprechgerät plötzlich knatternd zum Leben; Tibbs hörte seinen Namen.
    Er griff nach dem Mikrofon und meldete sich.
    »Wir haben ihn«, sagte der Einsatzleiter. »Ein Streifenwagen hat ihn aufgelesen. Schätzungsweise acht oder neun, ärmlich gekleidet, sagt, er heiße Johnny.«
    »Dem Himmel sei Dank«, murmelte Tibbs. »Sind die Eltern schon benachrichtigt.«
    »Nein, wollte zuerst bei Ihnen rückfragen.«
    »Gut, dann übernehme ich das. Lassen Sie den Jungen ins Präsidium bringen. Der Vater ist ein explosiver Typ, und ich möchte den Jungen lieber selbst zu Hause abliefern. Dann ist da noch die Sache mit dem Revolver, den er bei sich hat - oder hatte; die muß ich vorher klären.«
    »Geht klar.«
    Virgil wendete den Wagen und nahm Kurs aufs Präsidium. Er holte tief Luft vor Erleichterung. Da hatten sie ja noch mal Glück gehabt. Ein Revolver schießt in der Hand eines Kindes genauso schnell und genauso weit wie sonst auch.
    Er brauchte zwölf Minuten bis zum Parkplatz vor dem Präsidium und weitere drei Minuten für die Treppe bis zum ersten Stock, wo sich die Büros des Jugenddezernats befanden. Der kleine Junge, der dort auf ihn wartete, wandte ihm sein tränenverschmiertes, angsterfülltes Gesicht zu; seine Miene hellte sich ein bißchen auf, als er sah, daß der Polizist, der hereinkam, genauso ein Mensch war wie er selber.
    Virgil hob das dunkelhäutige Kind hoch und drückte es tröstend an sich. »Wir finden deine Eltern für dich«, versprach er. »Bald bist du wieder zu Hause.« Dann blickte er zu dem uniformierten Beamten hinüber, der mit dem Jungen gewartet hatte, und schüttelte nachdrücklich den Kopf.
    Der Beamte lief hinaus und hinunter in die Einsatzzentrale. »Es ist nicht der kleine McGuire«, berichtete er.
    Der Einsatzleiter reagierte blitzschnell. »Verdammt, und ich habe die Leute vom Hotchkiss-Haus abgezogen. Sie sind auf dem Weg hierher.« Er schrieb eine neue Durchsage aus.
    Weniger als eine Minute später zerriß ein scharfer Knall die Stille der Nacht; eine .38er Kugel ließ das vordere Fenster des Hotchkiss-Hauses splittern und bohrte sich tief in das Holzwerk.

5. Kapitel

    Eine Welle eisigen Schreckens überschwemmte Johnny, so daß er mehrere Sekunden lang kein Glied zu rühren vermochte. Er hatte nicht damit gerechnet, daß der Revolver so furchtbar laut knallen und in seiner Hand vor- und zurückspringen würde wie ein lebendiges Ding, da£ sich losreißen will. Sein Haß auf Billy war plötzlich nicht mehr da, hatte sich in nichts aufgelöst, als die abscheuliche Waffe losging und die Stille zerfetzte.
    Als er den Revolver aus der Schublade geholt hatte, wo sein Vater ihn aufbewahrte, war er von blinder Wut besessen gewesen; Billys spöttische Miene hatte sich in sein Gehirn eingebrannt und alles andere daraus vertrieben. Er hatte die Waffe in eine braune Tüte gesteckt, und die Tatsache, daß ihn kein Mensch auf der Straße beachtete oder an dem braunen Päckchen Anstoß nahm, hatte sein Selbstvertauen gehoben. Dann hatte er sich auf dem unbebauten Grundstück versteckt und lange Zeit darauf gewartet, daß Billy zum Vorschein kommen würde.
    Später dann sah er die Polizei anrücken, und weil ihm schwante, daß sie seinetwegen kam, war er einfach, mit der Tüte in der einen Hand, fortgegangen. Er war bis zum Colorado-Boulevard spaziert, hatte sich dort von seinem Geld zwei heiße Würstchen gekauft und die Mahlzeit mit einer herrlichen Riesenportion Softeis, direkt aus dem Automaten, abgerundet. Angenehm gesättigt hatte er sich auf den Rückweg gemacht. Als er vor dem Haus der Hotchkiss’ anlangte, war die Polizei nicht mehr da. In den folgenden paar Minuten, während es immer dunkler wurde, war er in seinem Entschluß wankend geworden, bis ihm aufging, daß es sich dabei gerade um die Art von Schwäche handelte, die sein Vater verachten würde. Da hatte er sein armes totes Radio hervorgeholt und es noch mal einzuschalten versucht. Wenn es durch ein Wunder wieder ganz gewesen wäre und funktioniert hätte, hätte er vor Freude geweint und seinen Groll vergessen. Aber das mißhandelte Gerät hatte leblos wie

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