Nicht schießen, Johnny!
Süden?«
»Tennessee.« Johnny hatte eigentlich nicht anworten wollen, aber ehe er’s sich versah, war es ihm herausgerutscht.
»Na, das ist gar keine so üble Gegend, aber gut ist sie gerade auch nicht. Du sprichst, als kämst du vom Mississippi.«
»War nie dort.«
»Vielleicht möchtest du gerne mit uns fahren. Wir bringen dich nach Hause.«
»Mit Niggern fahr ich nicht«, sagte Johnny schnell und wich diesmal mehrere Schritte zurück. Die vier folgten ihm gemächlich.
»Du hast doch gehört, Kleiner, daß wir das Wort nicht mögen! Sag’s noch mal und du kriegst Ärger!«
Ziemlich verzweifelt wandte Johnny sich um und hielt Ausschau - nach einem vorbeifahrenden Wagen, nach Leuten, nach irgendeinem rettenden Engel. Es war seltsam still in der Straße, und die einzige Laterne war ein ganzes Stück weit weg, an der Ecke, wo er aus dem Bus gestiegen war.
»Zeig mal her, was du in der Tüte hast«, sagte der erste Junge befehlend und grapschte danach. Johnny zog die Hand, mit der er die Waffe hielt, rasch zurück; die Tüte blieb zwischen den Fingern seines Quälgeists, und der Revolver kam zum Vorschein; der kurze gedrungene Lauf mit der schwarzen Mündung war drohend auf das Quartett gerichtet.
Der vierte Junge rief: »Guckt mal - er hat eine Spielzeugpistole!«
Johnny trat noch zwei Schritte zurück; er hatte schon einmal geschossen und würde es wieder tun. »Das ist kein Spielzeug«, sagte er. »Das ist ein richtiger Revolver.«
»Gib ihn lieber her.«
»Nein.«
»Woher hast du ihn? Dein Vater ist wohl ein Cop, huh?«
»Nein.«
Schweigend, als hätten sie es vorher abgesprochen, trennten sich die dunklen Gestalten; sie umzingelten Johnny, der Große von hinten, die zwei anderen, die bisher kaum etwas gesagt hatten, von der Flanke her. Johnny konzentrierte sich auf den, der noch vor ihm stand. Er hatte Angst, aber die Angst verlieh ihm auch eine gewisse Kaltblütigkeit. Der Revolver in seiner Hand kam ihm wie ein guter Kamerad vor; die vier Halbwüchsigen fürchteten sich vor der Waffe, das spürte er, und somit fürchteten sie sich auch vor ihm.
Der Junge vor ihm setzte alles dran, ihn einzuschüchtern. »Los, Kleiner, gib mir das Schießeisen!«
Johnny fuhr zusammen und wollte zurückweichen; sein linker Fuß war noch in der Luft, da fühlte er sich plötzlich von hinten gepackt; zwei starke Hände umfaßten seine Oberarme und drückten sie ihm an den Körper. Schockiert und empört über diese Hinterlist verlor er auch noch das letzte bißchen Selbstbeherrschung. Von Panik erfüllt versuchte er sich loszureißen - bis dahin erinnerte er sich später daran -, dann ging alles in einem Donnerschlag unter. Er begriff, daß der Revolver sich von allein abgefeuert hatte, daß der Revolver ihn verteidigt hatte, aber dann hakte es bei ihm aus. Die Welt wirbelte um ihn umher, und eine Horde von Dämonen stieß vom Himmel steil auf ihn herunter.
Die Hände, die ihn gepackt hielten, ließen ihn los, schubsten ihn sogar weg. Er stolperte vorwärts, fing sich gerade noch, blickte auf und sah in ein schmerzverzerrtes, Verstörtes Gesicht. Der Junge, der ihn als erster angesprochen hatte, sank mit krampfhaft gegen den Leib gepreßten Händen langsam zu Boden.
Johnny stand stocksteif da, vor Entsetzen betäubt über das, was der Revolver getan hatte. Er war nicht schuld daran - der Revolver, dieses lebende tödliche Werkzeug, hatte es getan.
Er erwartete, daß Leute herbeilaufen, ihn ergreifen würden, daß die Polizei in ihren schwarz-weißen Wagen heranbrausen würde. Aber nach dem Knall war es wieder still geworden und die Straße war ebenso ausgestorben wie davor.
Dann rührte sich sein Instinkt; er wirbelte herum, warf einen letzten verzweifelten Blick auf das Ding auf der Erde und rannte schneller und ausdauernder und länger als je zuvor. Er erspähte eine Öffnung zwischen zwei Gebäuden und schoß darauf zu. Die Passage führte in der ganzen Länge hindurch und mündete in eine Parallelstraße; Johnnys Herz klopfte zum Zerspringen, als er das Ende der Passage erreichte, aber immer noch war er vor Schrecken wie von Sinnen, und das Stechen in der Brust kümmerte ihn nicht. Er sah, daß die Straße frei war bis auf zwei Autos, die sich von ihm entfernten. Geduckt sauste er hinüber, entdeckte abermals einen Durchgang und stürzte sich hinein.
Ein paar kostbare Sekunden mußte er verschnaufen. Sein Herz klopfte überall, im Körper und im Kopf, und es brauste ihm in den Ohren. Aber er durfte nicht
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