Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicht schießen, Johnny!

Nicht schießen, Johnny!

Titel: Nicht schießen, Johnny! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ball
Vom Netzwerk:
sagen, daß er sich verlaufen hätte; er mußte sich etwas anderes ausdenken.
    Er setzte sich in Bewegung. Das Beste, was er seiner Meinung nach tun konnte, war, ein Versteck ausfindig zu machen, wo er die Nacht über bleiben konnte; es war Anfang Sommer, und wenn er sich mit seiner Jacke zudeckte, würde es nicht zu kalt sein. Am nächsten Morgen würde er herumlaufen, bis er ein Telefon aufgestöbert hatte, und dann seine Mutter anrufen. Sie würde ihm helfen.
    Plötzlich hörte er hinter sich das Quietschen von Bremsen und das Rumpeln eines haltenden Autos. Er drehte sich erschrocken um, voller Angst vor den gottverdammten Cops, doch es war nicht die Polizei. Statt dessen erblickte er einen uralten Wagen, der merkwürdig umgebaut worden war; vorn war er sehr niedrig, hinten hoch und an den Seiten gestreift wie ein Rennwagen. Jemand stieg aus und rief ihm zu: »He, Kleiner!«
    Seine erste Regung war, davonzulaufen. Dann sah er, daß der Junge, der auf ihn zukam, nur ein paar Jahre älter war als er selber. Er wußte, wenn er fortlief, würde ihn der andere mit Leichtigkeit einfangen, folglich tat er das einzig Mögliche und behauptete das Feld. Aber ihm war nicht danach zumute, es darauf ankommen zu lassen: vielleicht wollte ihm der Junge helfen, vielleicht aber auch nicht. Vorsichtshalber versenkte er die rechte Hand in die Tüte.
    Der Halbwüchsige aus dem Wagen schlenderte näher, und plötzlich sah Johnny, daß er eine dunkle Haut hatte. Von einem Neger erwartete er weder Freundschaft noch Hilfe; er machte zwei Schritte rückwärts und preßte die Finger um den Revolver, der nun sein bester Schutz war.
    »Was hast du in der Tüte, Kleiner, huh?« fragte der junge Neger.
    »Meinen Lunch«, sagte Johnny. Seine Mutter steckte ihm die Stullen immer in eine Tüte, und eine andere Antwort fiel ihm in der Eile nicht ein.
    »He, habt ihr das gehört?« Der Halbwüchsige drehte sich zum Wagen um. »Er sagt, in der Tüte ist sein Lunch.« Er krümmte sich vor Wonne. »Ist das nicht putzig?«
    Johnny trat noch zwei Schritte zurück, weit genug, um Abstand zwischen sich und dem andern zu schaffen, doch nicht so weit, daß der junge Neger sich bemüßigt fühlte, ihm zu folgen. Dann spähte er zum Wagen hinüber und sah, daß noch drei Figuren ausstiegen. Eine war größer als die übrigen, mehr konnte er im Dunkeln nicht erkennen.
    »Ich habe Hunger«, sagte der Halbwüchsige vor ihm. »Gib mir was zu futtern, Kleiner. Hast du vielleicht Brathähnchen?«
    »Das ist mein Lunch«, antwortete Johnny.
    »Du bist ziemlich spät dran, Kleiner, wie?« Der Feind trieb den Angriff aus einer anderen Richtung vor.
    »Ich gehe nach Hause«, sagte Johnny. »Mein Vater kommt mir entgegen.« Er hoffte, ihnen damit einen Schrecken einzujagen - zu dumm, daß sie seinen Vater nicht kannten; dann hätte es sie nämlich erschreckt.
    Das Drohmanöver zog nicht. Als er aufblickte, stellte er fest, daß er in vier dunkle Negergesichter starrte; die vier musterten ihn, als ob er ein in die Enge getriebenes Tier sei, das sie gern, bloß zum Spaß, ein bißchen triezen würden. Johnny hätte sich entsetzlich gefürchtet, wenn er nicht den Revolver gehabt hätte, diesen wundervollen Schutz, den er heimlich mit der rechten Hand umklammerte. Er erkannte nun, wie klug es von seinem Vater gewesen war, die Waffe anzuschaffen und für Notfälle in erreichbarer Nähe aufzubewahren. Der Revolver war womöglich das einzige Mittel, das ihn, einen Jungen aus Tennessee, vor der Gefahr retten würde, die er überdeutlich von den vier schwarzen Gesichtern ablas.
    Der Große, der etwas älter als die anderen zu sein schien, ergriff nun das Wort. »Vielleicht hast du dich verlaufen, he?«
    »Ich kenne mich hier aus«, brauste Johnny auf. Er traute sich nicht, irgendeine Schwäche zu zeigen.
    »Ach nein, wirklich?« sagte wieder der erste. »Wie heißt denn dann diese Straße hier? Los, sag’s uns.«
    Johnny wußte es nicht; er hatte das Schild an der Ecke nicht beachtet. »Laßt mich in Ruhe!« Er legte so viel Autorität wie möglich in seine dünne Stimme.
    »Warum sagst du so was? Du magst uns wohl nicht, wie?« »Ihr seid Nigger«, erwiderte Johnny.
    Eins von den zwei schwarzen Gesichtern, die bisher geschwiegen hatten, fuhr Johnny scharf in die Parade. »Das Wort hören wir aber gar nicht gern!«
    Nun mischte sich auch der Große wieder ein. »Wir mögen’s nicht, wenn man uns so nennt, Kleiner. Das müßtest du eigentlich wissen. Bist du aus dem

Weitere Kostenlose Bücher