Nicht schießen, Johnny!
aufrappeln, und ich wollte keinen Ärger kriegen.«
Von den Howells fuhr Tibbs zur Wohnung des Jungen namens Harry, dem vierten Mitglied der Clique. Harry war nicht zu Hause; seine Mutter erklärte, daß er ein paar Blocks weit weg in einer Autowäscherei beschäftigt sei. Nach Rücksprache mit dem Firmenleiter verbrachte Tibbs eine halbe Stunde mit dem letzten der drei Zeugen, der offenbar der wortgewandteste und intelligenteste war. Auch von ihm hörte er im wesentlichen die gleiche Geschichte, jedoch mit einer bedeutungsvollen Ergänzung, nämlich, daß der zweite Schuß unmittelbar auf den ersten gefolgt sei. Harry bestätigte ferner, daß Johnny zu dem Zeitpunkt noch von Charles Dempsey festgehalten wurde und sich aus Leibeskräften dagegen wehrte.
Tibbs ließ nicht locker. Nachdem es ihm gelungen war, die tief eingewurzelte Feindseligkeit, die Harry gegen alle Menschen weißer Hautfarbe empfand, zu unterlaufen, kam er zu dem Schluß, daß der Junge das Ganze im Grunde genommen für einen unglückseligen Zufall hielt. Er war erleichtert, als er Harry dieses Zugeständnis abgerungen hatte. Zwar war es, da es sich nur um eine Schlußfolgerung des Zeugen handelte, vor Gericht als Beweis nicht zulässig, aber ein tüchtiger Verteidiger würde es beim Kreuzverhör zutagefördern und Kapital daraus schlagen.
In der Überzeugung, daß er aus Harry im Augenblick nicht mehr herausholen konnte, begab sich Tibbs zurück zu seinem Wagen. Nun mußte er Johnny McGuire ausfindig machen, ihn beruhigen, ihm den Revolver abknöpfen und ihn heil und ganz im Präsidium abliefern. Er mußte sich auch um die McGuires kümmern; Johnnys Mutter würde inzwischen vermutlich halb verrückt vor Sorge sein.
Hoffentlich konnte er den Fall erfolgreich abschließen, bevor irgendwelche militanten Gruppen auf der Bildfläche erschienen. Falls diese Fanatiker sich einmischten und zur Jagd nach dem kleinen McGuire aufriefen, war guter Rat teuer. Johnny hatte seinen Revolver bereits dreimal abgedrückt und befand sich in einer unberechenbaren Gemütsverfassung. Er hatte sich außerhalb des Gesetzes gestellt und war alt genug, um das zu begreifen. Um der Festnahme zu entgehen, würde er vielleicht noch einmal schießen, und es waren noch Kugeln in seinem Revolver.
8. Kapitel
Johnny McGuire erwachte früh am Morgen. Sobald das volle Tageslicht durch das Dickicht drang, in dem er Zuflucht gesucht hatte, öffnete er die Augen, erinnerte sich und lag ganz still.
In den ersten paar Minuten kam er sich schrecklich verlassen vor und wünschte sich nichts sehnlicher, als nach Hause und in die Arme seiner Mutter zu stürzen. Dann sagte ihm eine noch eindringlichere innere Stimme, daß er das nicht durfte, daß er in sein Unglück rennen würde.
Er durchlebte noch einmal den Alptraum, der ihm in der dunklen öden Straße widerfahren war, sah die vier so viel älteren Jungen vor sich, die ihn eingekreist hatten, die so viel größer als er waren. Er hatte gar nicht vorgehabt, den Revolver abzufeuern; er hatte es nicht mit Absicht getan, aber es war trotzdem sein Finger gewesen, der auf den Abzug gedrückt hatte.
Abermals spürte er die Hände, die ihn von hinten bei den Armen packten und ihn festhielten, während er sich wand und krümmte und loszureißen versuchte. Abermals hörte er den gräßlichen Knall und fühlte den Rückstoß des Revolvers in seiner Hand. Er sah den Jungen, der vor ihm stand, sah, wie er die Arme gegen den Bauch preßte und langsam zu Boden sank.
Johnny durchlebte erneut das Grauen der folgenden Minuten: seine Fassungslosigkeit; den Anblick des Jungen, der verletzt am Boden lag; er konnte an nichts anderes denken, als daß sein Revolver schuld daran war, bis er merkte, daß er wegrannte. Er rannte und rannte, aber irgendeine unsichtbare Kraft hielt ihn zurück. Ihm war, als steckte er bis zu den Hüften im Morast; es kostete ihn ungeheure Anstrengung, die Knie hoch genug anzuheben, um weiterzukommen ...
Mit einem Ruck kehrte er in die Gegenwart zurück. Wenn er nicht entdeckt werden wollte, durfte er hier nicht viel länger bleiben. Bald würden die Leute aufstehen, und bis dahin mußte er weit weg sein. Am liebsten würde er nach Hause gehen, und er dachte gründlich darüber nach. Er hatte die Streifenwagen vor Billy Hotchkiss’ Haus gesehen und wußte, daß die gottverdammten Cops hinter ihm her waren. Sie hatten inzwischen bestimmt herausgekriegt, wer auf den schwarzen Jungen geschossen hatte. Natürlich war es nicht
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