Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicht schießen, Johnny!

Nicht schießen, Johnny!

Titel: Nicht schießen, Johnny! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ball
Vom Netzwerk:
verschwinden, bevor man sein Versteck entdeckte. Er horchte, spähte durch die Zweige und kroch dann, den Schuhkarton vor sich herschiebend, aus dem Gebüsch, klopfte sich ab und schaute nach einem Weg aus, der ihn zurück in die Stadt führte.
    Zehn Minuten später betrachtete ein Tankstellenwart ziemlich erstaunt einen kleinen Buben, der, einen Schuhkarton unter dem Arm, die Einfahrt heraufgetrabt kam. »Du bist verdammt früh auf den Beinen, was?« fragte er, belustigt über das zerzauste Äußere des Jungen.
    »Muß Zeitungen austragen«, erklärte Johnny geistesgegenwärtig. »Darf ich den Waschraum benutzen?«
    »Klar.«
    In der Geborgenheit des kleinen weißgekachelten Raums verrichtete Johnny sein Bedürfnis und wusch sich dann sorgfältig. Als er den Schuhkarton wieder aufklaubte, rutschte der Revolver im Inneren nach vorn und bumste gegen die Wandung. Johnny war sich klar darüber, daß er dagegen etwas tun mußte. Er zerrte ein paar zerknüllte Papierhandtücher aus dem Abfalleimer, polsterte die Schachtel damit aus und legte den Revolver oben drauf. Er machte den Deckel zu und schüttelte den Karton probeweise; kein verräterischer Bums mehr.

    Zufrieden mit sich selbst ging er wieder zur Tankwartkabine und fragte: »Können Sie mir sagen, wie man nach Anaheim kommt?« Dann fügte er rasch hinzu: »Mein Dad will nämlich heute mit mir hingehen.«
    »Anaheim?« sagte der Tankwart. »Wetten, daß ich weiß, wo ihr hinwollt? Ihr wollt ins Disneyland, stimmt’s?«
    Johnny nickte. »Ja, aber wir wissen nicht genau, wie man hinkommt.«
    Der Mann verschwand im Büro und kam mit einem Stadtplan zurück. »Schau her. Hier ist Anaheim«, er tippte mit dem Finger darauf, »hier unten an der Santa-Ana-Autobahn. Wohnst du hier in der Nähe?«
    »Ja.«
    »Gut, dann ist’s am besten, wenn dein Vater auf dem Pasadena-Freeway bis zum Autobahnkreuz fährt und dann weiter bis dahin, wo der Santa-Ana-Freeway nach rechts abzweigt. Kannst du dir das merken?«
    Johnny nahm den Stadtplan. »Ja, aber manchmal ist unser Wagen nicht in Ordnung. Kann man auch im Bus fahren?«
    »Ja, freilich. Ihr nehmt auf der Fair-Oaks-Avenue die Linie achtundfünfzig nach Los Angeles. Dort könnt ihr in einen Bus direkt nach Disneyland umsteigen; er hält genau vor dem Haupteingang.«
    »Ist es von da noch weit bis dorthin, wo die Angels spielen?«
    Der Tankwart schüttelte den Kopf. »I wo, vielleicht eine Meile.«
    »Vielen Dank, Mister.«
    »Gern geschehen, mein Sohn.«
    Johnny war beinahe vergnügt, als er denselben Weg zurückging, den er gekommen war. Er wußte nun, wo Anaheim lag und wie man dorthin gelangen konnte. Er hatte ferner entdeckt, daß nicht alle Menschen gegen ihn waren; er hatte mit dem Mann an der Tankstelle gesprochen, und alles war glattgegangen. Seine Zuversicht wuchs, obwohl ihm klar war, daß seine Mutter sich um ihn sorgen würde, und daß sein Vater schrecklich wütend sein würde, weil er den Revolver mitgenommen hatte.
    Im hellen Tageslicht verblaßten die Ereignisse vom Abend zuvor. Mit der Dunkelheit waren auch die Ängste geschwunden; die Straßen sahen aus wie sonst; viele Menschen waren schon unterwegs, und der Verkehr hatte fast seine normale Dichte erreicht. Einen Augenblick lang erwog er, ob er nicht lieber nach Hause gehen sollte. Aber er schlug sich den Gedanken sehr schnell aus dem Kopf. Vielleicht waren die Cops dort; was aber viel schlimmer wäre, er würde seine einzige Chance, ein Baseballspiel zu sehen, verpassen; vielleicht hatte er in seinem ganzen Leben nie wieder die Gelegenheit dazu.
    Als er die Orange-Grove-Avenue erreichte, war kein Bus in Sicht. Johnny traute sich nicht, lange an einem Fleck stehenzubleiben. Er trottete die Avenue in südlicher Richtung hinunter; das war die ungefähre Richtung nach Los Angeles, und die Vorstellung, daß er sich bereits auf dem Weg nach Anaheim befand und seinem Ziel mit jedem Schritt ein bißchen näherkam, berauschte ihn. An der nächsten Ecke hielt er inne und schaute abermals nach dem Bus aus. Zu seinen Füßen, am Rande des Trottoirs, lag ein Stapel Zeitungen für den Austräger bereit.
    Vom Bus noch immer keine Spur. Statt dessen sichtete Johnny einen Streifenwagen, der nur noch einen halben Block entfernt war und sich, dicht am Bordstein entlang, auf ihn zubewegte. All seine Zuversicht verließ ihn; die Angst hatte ihn wieder am Wickel. Jäh wurde ihm bewußt, daß er noch immer wie ein Tier gejagt wurde. Er hatte es fast vergessen, und nun war es zu

Weitere Kostenlose Bücher