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Nicht schießen, Johnny!

Nicht schießen, Johnny!

Titel: Nicht schießen, Johnny! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ball
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drängten sich die Angestellten des Stadions, aber sie waren bei der Entfernung kaum zu sehen. Tausende und aber Tausende leerer
    Sitzreihen umschlossen, schräg ansteigend, das weite grüne Spielfeld mit den weißen Begrenzungslinien und der einsamen Werferplatte.
    Dann fing der Organist an zu musizieren. Er begann ganz leise, so daß es den Anschein hatte, als schwebten die sanften Akkorde wie Sphärenklänge über das riesige Rund. Allmählich schwoll die Musik an, wurde die Stimmführung deutlicher. Bekannte Melodien schälten sich heraus - GhostRiders in the Sky, Red River Valley - und erweckten romantische Erinnerungen an den Wilden Westen.
    Es war so geschickt gemacht, daß auch Virgil von der Stimmung fortgerissen wurde. Durch eine Art Alchimie verwandelte der einsame Musiker einen betriebsamen Winkel des aufstrebenden, verkehrsreichen Orange County in ein Stück Prärie; der kurzgeschorene grüne Stadionrasen schien sich bis zum Horizont hin auszudehnen, eine weite, sanftgewellte Ebene, über die der warme Sommerwind strich.
    Die Musik wurde immer lauter, fast triumphierend; es war nahezu unmöglich, sich ihrer Magie zu entziehen. Sie füllte das Stadion mit Leben, mit Leben, das man hören und beinahe auch greifen konnte.
    Dann tauchte hinter dem Schlagmal, wo sonst der Schiedsrichter aufzutreten pflegte, eine einzelne Gestalt auf. Sie war noch weit weg, aber dennoch unverkennbar: ein Mann zu Pferd. Sein Gesicht war unter dem breiten Rand seines Stetson fast ganz verborgen. Als er langsam näher ritt, erkannte man die ledernen Cowboyhosen und das glitzernde Muster auf seinem Hemd.
    Mit hochmütiger Verachtung des geheiligten Baseball-Rasens hob das Pferd den Vorderfuß und stieg elegant über die Werferplatte hinweg, als wäre sie bloß ein Maulwurfshaufen auf irgendeiner Viehweide. Die Musik wurde klarer, einige flatternde Töne formten sich zu einer Melodie; nach einigen Takten löste sie sich auf, erklang von neuem, diesmal fester und entschlossener, bis endlich Back in the Saddle Again siegreich, in breiten Akkorden durch das Stadion rauschte.
    Das guttrainierte Pferd beschrieb einen weiten Kreis, schritt auf den Rasen des Außenfeldes und blieb stehen. Reiter und
    Pferd standen regungslos, wie aus Stein gehauen, bis die Melodie ausklang. Dann, als der Organist TumblingTumbleweeds anstimmte, schritt das Pferd abermals vorwärts, setzte zu einem langsamen Galopp an und stoppte dreißig Meter vor der Tür zur Reservebank. Der Reiter behielt die Zügel in der Linken, griff mit der Rechten nach seinem Hut und nahm ihn mit einer schwungvollen Bewegung ab.
    Und dann ertönte, hoch über dem Stadion, aus der winzigen, am Stahlgerüst hängenden Kabine der jauchzende Schrei einer schrillen Jungenstimme: »Gene Autry!«
    Virgil schluckte krampfhaft und gab mit dem Arm ein Zeichen, daß der Strom wieder eingeschaltet werden sollte. Als er sich umdrehte, fand er Charles Dempsey direkt hinter sich. Dempsey hatte etwas auf dem Herzen. »Ich wollte mich wegen vorhin entschuldigen«, murmelte er beschämt.
    »Okay, aber tu das ja nicht wieder«, antwortete Tibbs scharf. Er hatte keine Zeit, sich mit Dempsey abzugeben; das Drama näherte sich seinem Höhepunkt.
    »Hallo Johnny, wie geht’s meinem Kumpel«, rief die berühmte Stimme hinauf.
    Von oben kam keine Antwort.
    »Kannst du nicht wenigstens >Hallo, Gene< sagen?« fragte der Reiter.
    »Hallo, Gene!« scholl es herunter, in einer Mischung von Angst, Freude und Ehrfurcht.
    »Ich kann dich nicht hören, du bist zu hoch oben!« Autry legte die linke Hand hinters Ohr.
    »Eins«, begann Virgil, die Sekunden zählend, »zwei, drei, vier, fünf, sechs, sie -« Da geriet die Kabine in Bewegung und glitt langsam abwärts bis zur Anzeigetafel - dort machte sie halt.
    »So ist’s besser!« Auf dem Rücken seines prächtigen Pferdes galoppierte der Cowboy einmal im Kreis um das Schlagfeld herum. Virgil Tibbs warf einen prüfenden Blick zu Mike McGuire hinüber. Mike hatte nur Augen für seinen Jungen, machte jedoch keine Anstalten, seinen Platz zu verlassen. Er hatte offenbar eingesehen, daß er in diesem Stück vorläufig nur eine Statistenrolle spielen durfte. Nach dem kurzen Ritt blieb der Reiter stehen, zog seine Waffe aus dem Hüfthalter und feuerte einmal in die Luft.
    Der Schuß hallte durch das Stadion.
    »Na, komm schon«, drängte Autry. »Kennst du mich denn nicht mehr? Wo bleibt der Cowboygruß?«
    Rasch spähte Virgil zu dem Jungen hinauf, dessen Kopf und

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