Nicht schon wieder ein Vampir! (German Edition)
wir sein Buch gestohlen haben?, überlegte ich.
»Blut ist eine Metapher für das Leben«, sagte die Göttin mit meiner heiteren Altstimme. »Er hat es gewagt, sich von meiner Essenz zu nähren.«
Es ist mein Blut, erwiderte ich in Gedanken.
»Ich war von Anbeginn bei dir, und ich bin die, die am Ende allen Verlangens steht.«
Hör auf, aus der Lehre der Göttin zu zitieren, und halte dich an die Fakten!
Lilith antwortete nicht. Im körperlosen Zustand war ich anscheinend leicht zu ignorieren.
Wir öffneten die Haustür und sahen, wie Sebastian mein Fahrrad in den Kofferraum seines Wagens verfrachtete. Als er mich erblickte, winkte er mir zu.
»Das ist das Mindeste, was ich tun kann«, sagte er. »Bis in die Stadt ist es ziemlich weit und … na ja, du bist noch etwas wackelig auf den Beinen.« Er grinste mich schuldbewusst an.
Lilith entfuhr ein wütendes Knurren. Sebastian hatte SIE dummerweise an den Schaden erinnert, den er mir/uns mit seinem Biss zugefügt hatte. Ich musste einschreiten, sonst bezahlte er seine Unverschämtheit mit dem Leben.
Dafür würdest du auf das Zauberbuch verzichten?, dachte ich.
»Wenn ich ihn töte, habe ich meine Rache und das Buch«, flüsterte SIE.
Ja, aber was für eine Rache wäre das?, fragte ich in der Hoffnung, an ihren Sinn für Dramaturgie zu appellieren. Hältst du es für eine gelungene Vergeltungsmaßnahme, ihm hier und jetzt die Kehle herauszureißen?
Ein kleiner Ruck, und ich war wieder in meinem Körper.
Sebastian fuhr so ein Mafia-Auto aus den späten Dreißigerjahren. Es war groß und schwarz und sah aus wie ein Junikäfer auf Rädern. Mein Mountainbike in den kleinen Kofferraum zu bekommen war zwar nicht ganz einfach, aber Sebastian hatte offensichtlich sein System, zu dem zahlreiche bunte Gummigurte und ein Seil gehörten.
Im Wagen roch es nach Schmierfett, doch der rote Knautschsamtbezug der Sitze war blitzsauber und nicht ausgeblichen. Sebastians Auto war sogar noch gepflegter als sein Haus; auf dem Boden des Fahrzeugs lag nicht eine leere Dose herum. Dafür fehlte der Sicherheitsgurt, wie ich feststellen musste, und so fühlte ich mich auf der durchgehenden Sitzbank doppelt ungeschützt. Sebastian bemerkte mein Unbehagen offenbar, denn er zog einen klobigen Verschluss aus dem Ritz zwischen Sitz und Rückenlehne, wie man ihn aus den Siebzigern kennt. Er sah aus wie von einem Flugzeugsicherheitsgurt, nur noch größer.
»Der Gurt ist auch da drin. Ich musste das nachträglich einbauen lassen, um die Zulassung zu bekommen.«
Ich schnallte mich an, doch ohne den gewohnten Gurt über der Schulter fühlte ich mich irgendwie nackt. Die Einkaufstüte hielt ich verkrampft auf meinem Schoß fest. Ich sollte ihm das Buch zurückgeben, dachte ich beklommen.
Lilith knurrte.
Sebastian sah mich an. »Immer noch hungrig?«
»Äh …« Was sollte ich sagen? Nein, das ist nur meine innere Göttin, die mir zu verstehen gibt, dass ich SIE nicht ärgern soll? Ich warf schuldbewusst einen Blick auf die Tüte. »Also, eigentlich …«
Ein stechender Schmerz schoss durch meinen Bauch.
»Hört sich tatsächlich so an«, sagte ich rasch. »Aber ich glaube eher, ich habe zu viel gegessen. Die Sandwiches waren wirklich hervorragend!«
»Danke«, sagte Sebastian. »Ach, da fällt mir ein, isst du eigentlich Fisch?«
»Was?«
»Fisch. Ich habe über unser Abendessen nachgedacht. Bist du Vegetarierin oder Veganerin oder was?«
»Ich esse ab und zu Fisch«, entgegnete ich zerstreut, während ich gespannt zusah, wie Sebastian einige merkwürdige Rituale vollzog, um den Wagen anzulassen, wozu auch das Drücken eines Knopfs am Armaturenbrett gehörte. Der Motor lief, nachdem er einmal angesprungen war, überraschend ruhig und leise. Weil der Wagen schon so alt war, hatte ich erwartet, dass er klapperte und ächzte, aber mir hätte natürlich klar sein müssen, dass Sebastian sämtliche Teile pflegte und hundertprozentig in Ordnung hielt.
»Hast du ihn gekauft, als er neu war?«, fragte ich und beobachtete, wie er geschickt die Lenkradschaltung bediente. Dabei versuchte ich, ihn mir mit Trenchcoat, Fedora und Vampirzähnen in der Gangsterära der Vierzigerjahre vorzustellen.
»Um Himmels willen, nein«, entgegnete er. »Als dieser Wagen neu war, wusste ich überhaupt nichts von seiner Existenz. Damals war ich im Senegal. Ich habe ihn von eBay.«
Seine Antwort warf für mich so viele Fragen auf, dass ich darauf verzichtete, auch nur eine zu stellen. Abgesehen davon war
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