Nicht tot genug 14
davon auf Rollen. Auf ihm lag Katie Bishop.
Wer auf diese Weise starb, gehörte nicht mehr dem Ehepartner, den Eltern oder Geschwistern. Der Mensch verlor sämtliche Rechte und wurde zum Eigentum des örtlichen Leichenbeschauers, bis dieser sich von der Identität des Verstorbenen und der Todesursache überzeugt hatte. Es war nicht von Belang, ob die Angehörigen dagegen waren, dass der Körper ausgeweidet wurde. Es war nicht von Belang, ob die Familie Wochen oder gar Monate warten musste, bis sie den Toten beerdigen oder einäschern konnte. Er war nicht länger er selbst, sondern ein biologisches Prüfstück, bestehend aus zerfallenden Proteinen, Zellen, Fasern und Gewebe, von denen ein mikroskopischer Bestandteil womöglich etwas über die Todesursache aussagte.
Trotz seines Ekels konnte Grace sich einer gewissen Faszination nicht erwehren. Er musste immer hinschauen und bewunderte die ungeheure Sorgfalt und unermüdliche Professionalität, mit der die Pathologen des Innenministeriums vorgingen. Nicht nur die Todesursache wurde hier bestimmt; sie lieferten auch zahlreiche weitere Hinweise wie den ungefähren Zeitpunkt des Todes, den Mageninhalt, ob es eine gewalttätige Auseinandersetzung, einen sexuellen Missbrauch oder eine Vergewaltigung gegeben hatte. Mit etwas Glück würde man bei der DNA-Analyse, der zurzeit wichtigsten Nachweismethode, in einem Hautfetzen oder einer Spermaprobe den genetischen Fingerabdruck des Mörders entdecken. Heutzutage wurden viele Verbrechen im Labor aufgeklärt.
Darum musste Grace als leitender Ermittler vor Ort sein, und falls er weggerufen wurde, diente Glenn Branson als Ersatz. Außerdem war Derek Gavin von der Spurensicherung dabei, der jeden Schritt mit der Kamera festhielt. Dazu Cleo Morey und ihr Assistent Darren, ein gut aussehender Mann um die zwanzig, der vorher, wie passend, als Metzgerlehrling gearbeitet hatte.
Die Pathologin Nadiuska De Sancha und die beiden Leichenbeschauer trugen schwere grüne Schürzen. Die Leiche von Katie Bishop war in eine weiße Plastikfolie gehüllt, die an Händen und Füßen mit Gummibändern gesichert war, um mögliche Spuren unter den Nägeln zu schützen. Die Pathologin wickelte die Folie ab und untersuchte sie aufmerksam auf Haare, Fasern, Hautreste und andere Spuren, die womöglich vom Angreifer stammten; zwischendurch sprach sie in ihr Diktiergerät.
Sie war etwa zwanzig Jahre älter als Cleo, aber auf ihre Weise ebenso hinreißend. Schön und würdevoll, mit hohen Wangenknochen und klaren grünen Augen, die todernst blicken und im nächsten Moment humorvoll zwinkern konnten. Sie trug eine kleine runde Hornbrille, wie Intellektuelle in den Medien sie bevorzugten, und hatte das feuerrote Haar ordentlich aufgesteckt. Sie wirkte irgendwie aristokratisch und war angeblich die Tochter eines russischen Adligen. Nun legte sie das Diktiergerät neben das Waschbecken und machte sich daran, Katies rechte Hand auszupacken.
Als die Leiche schließlich vollkommen nackt dalag und Nadiuska unter allen Fingernägeln Proben entnommen hatte, wandte sie sich der Strangmarke am Hals der Frau zu. Sie untersuchte sie mit einer Lupe, schaute sich die Augen an und sagte dann zu Grace:
»Roy, es handelt sich um eine oberflächliche Messerwunde mit einer Strangmarke an derselben Stelle. Sehen Sie sich mal die Sklera genau an – die Augäpfel, meine ich. Erkennen Sie die Blutungen?« Sie sprach mit einem ganz leichten osteuropäischen Akzent.
Der Detective Superintendent trat näher und betrachtete die Augen nacheinander durch die Lupe. Nadiuska hatte recht. In jedem Augapfel waren deutlich blutunterlaufene Punkte zu erkennen, etwa so groß wie ein Stecknadelkopf. Er trat wieder zurück.
Dann fotografierte Derek Gavin beide Augen mit einer Makrolinse.
»Der Druck reichte aus, um die Halsvenen zusammenzudrücken, nicht aber die Arterien«, erklärte Nadiuska mit lauterer Stimme. »Die Blutung ist ein nützlicher Hinweis auf Strangulation oder Ersticken. Seltsam ist nur, dass es keine Kratzer oder blauen Flecken an ihrem Körper gibt. Man sollte meinen, sie hätte Widerstand geleistet. Das wäre jedenfalls normal.«
Genau das hatte Grace auch gedacht. »Also könnte es jemand gewesen sein, den sie kannte? Ein Sexspiel, das außer Kontrolle geriet?«
»Und die Messerwunde?«, warf Glenn Branson skeptisch ein.
»Guter Einwand«, gab Grace zu. Dass ihm so etwas entgehen konnte – vermutlich war er einfach übermüdet.
Dann begann die Pathologin mit der
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