Nicht tot genug 14
Mal das Gesicht ihrer Rivalin. Und es war ganz anders, als sie es erwartet hatte. Sie hatte sich kein genaues Bild von ihr gemacht, weil Brian nie über sie sprach, doch im Geiste hatte sie sich eine verbitterte Furie mit Dutt vorgestellt, eine furchtbare alte Ziege, die Brian in eine lieblose Ehe gelockt hatte. Alles, aber nicht diese hinreißende, selbstsichere und glücklich wirkende Schönheit.
Auf einmal kam sie sich sehr verloren vor und fragte sich, was sie eigentlich hier wollte. Halbherzig holte sie das Handy aus ihrer billigen, zitronengelben Stofftasche, die sie für den Sommer gekauft hatte, weil die Farbe modern war, die inzwischen aber ziemlich schäbig aussah. Genau wie sie, dachte Sophie, als sie sich in ihrer verknitterten Arbeitskleidung im Spiegel des Fotoautomaten erblickte.
Sie musste nach Hause fahren, sich frisch machen und umziehen. Brian mochte es, wenn sie gut aussah. Sie erinnerte sich, wie missbilligend er sie angesehen hatte, als er sich einmal in einem schicken Restaurant mit ihr verabredet und sie keine Zeit gefunden hatte, sich nach der Arbeit umzuziehen.
Nach kurzem Zögern wählte sie seine Nummer und bemerkte wieder nicht den Mann mit dem Kapuzenpulli, der nur wenige Schritte entfernt stand und die Taschenbücher im Ständer vor dem Kiosk betrachtete.
Dann meldete sich wieder die blecherne Lautsprecherstimme, und sie schaute zu der großen Uhr mit den römischen Ziffern hinauf.
Sechzehn Uhr einundfünfzig.
»Hi«, sagte Brian, noch bevor sie das erste Klingeln gehört hatte.
»Du Armer, es tut mir so leid.«
»Ja.« Seine Stimme klang brüchig und monoton.
Danach herrschte langes, verlegenes Schweigen. Schließlich fragte sie: »Wo bist du?«
»In einem Hotel. Die verdammte Polizei lässt mich nicht in mein Haus. In mein eigenes Haus. Und keiner sagt mir, was passiert ist, kannst du dir das vorstellen? Sie behaupten, es handle sich um einen Tatort und deshalb könnte ich nicht hinein. Mein Gott, Sophie, was soll ich nur tun?« Er fing an zu weinen.
»Ich bin in Brighton«, sagte sie leise. »Ich habe früher Feierabend gemacht.«
»Wieso?«
»Ich – ich dachte – ich könnte vielleicht – ich dachte, ich könnte dir irgendwie helfen. Irgendetwas für dich tun.« Dann versagte ihr die Stimme. Sie sah wieder hoch zu der Uhr, auf der sich mittlerweile eine Taube niedergelassen hatte.
»Wir können uns nicht treffen. Das ist unmöglich.«
Auf einmal kam sie sich ziemlich dumm vor. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?
»Nein«, stimmte sie zu, obwohl seine barsche Stimme wehtat. »Das verstehe ich. Ich wollte nur sagen, falls ich dir irgendwie –«
»Nein, du kannst nichts für mich tun, aber es ist lieb, dass du angerufen hast. Ich – ich muss jetzt los, um ihre Leiche zu identifizieren. Den Kindern habe ich noch gar nichts davon gesagt. Ich …«
Er verstummte. Sophie wartete geduldig, und versuchte, sich in ihn hinein zu versetzen. Erst jetzt wurde ihr klar, wie wenig sie wirklich über ihn wusste und welche Außenseiterrolle sie in seinem Leben spielte.
Dann sagte er mit erstickter Stimme: »Ich rufe dich später wieder an, okay?«
»Jederzeit. Das meine ich ernst«, versicherte sie ihm.
»Danke. Es tut mir leid.«
Danach rief sie ihre Freundin Holly an, weil sie sich verzweifelt danach sehnte, mit jemandem zu sprechen, erreichte aber nur die Mailbox, auf der ein unerträglich fröhlicher Spruch zu hören war. Sophie hinterließ eine Nachricht.
Danach lief sie ziellos durch den Bahnhof und trat schließlich hinaus ins Sonnenlicht. In ihre Wohnung wollte sie nicht. Sonnenverbrannte Menschen strömten zum Bahnhof, Tagestouristen, die meisten in Strandkleidung und mit großen Taschen bewaffnet. Ein schlaksiger Typ mit abgeschnittenen Jeans schleppte ein riesiges Radio mit sich herum, aus dem lautstarker Rap dröhnte. Sein Gesicht und seine Arme hatten die Farbe eines gekochten Hummers. Die ganze Stadt war in Urlaubsstimmung. Nur Sophie nicht.
Da klingelte ihr Handy. Einen Moment lang hoffte sie, es wäre Brian, las dann aber Hollys Namen im Display.
Die Stimme ihrer Freundin ertrank fast in einem ohrenbetäubenden Geheul, da sie gerade beim Friseur gefönt wurde. Nach dem fruchtlosen Versuch, ihr etwas zu erklären, schlug Sophie vor, später noch einmal zu telefonieren, und Holly versprach, sich zu melden, sobald sie den Salon verlassen hatte.
Der Mann mit dem Kapuzenpulli folgte ihr in sicherer Entfernung, die rote Plastiktüte in der Hand, und saugte
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