Nicht Totzukriegen
weiß es nicht mehr. Das sei aber auch normal, sagt der Arzt, auch wegen des Schocks.
Die Polizei sagt, es sei ein Wunder. Tom müsse vor dem Unfall aus dem MG gesprungen oder herausgeschleudert worden sein. Sie kann sich den Unfall nicht erklären. Der Wagen sei komplett verbrannt und das Wrack durch die starke Hitzeentwicklung völlig zerstört worden, deshalb werde sich die Ursache vermutlich nie mehr ermitteln lassen.
Im Krankenhaus sagen sie, er habe unverschämtes Glück gehabt. Bis auf Prellungen, Abschürfungen und Platzwunden sei ihm nichts passiert, er habe sich nichts gebrochen und auch keine inneren Verletzungen. In drei bis vier Tagen könne er entlassen werden.
Tom sagt gar nichts. Er kann sich nicht mehr erinnern. Sein Gedächtnis setzt exakt in dem Moment aus, als er bei uns losgefahren, um die Ecke gebogen und damit aus meinem Blick verschwunden ist. Auch das sei normal, sagen die Ärzte, eine sinnvolle Schutzfunktion des Gehirns, dass es solche traumatischen Situationen nachträglich ausblendet.
Frau Niemeyer sagt, sie bräuchte jetzt nen Schnaps, und ich schließe mich an. Nach dem Unfall hat sie mich zum Krankenhaus begleitet und dort auch wieder mit dem Auto abgeholt; die Fahrt hat mich zwar noch mal um Jahre altern lassen, sie war clean – vielleicht fährt sie bekifft besser, aber ich kann ihr nur danken. Sie ist die Güte in Person, und unseretwegen hat sie sich heute in ihren alten Turnschuhen ohne Socken die Füße wundgerannt.
Dieses Mal bin ich ganz klar zu weit gegangen. Ich darf gar nicht daran denken, was alles hätte passieren können, um ein Haar hätte ich die halbe Siedlung abgefackelt. Um ein paar der hässlichen Reihenhäuser an der Vera-Brühne-Straße wäre es nicht schade gewesen, aber was, wenn im falschen Augenblick jemand über die Straße gegangen wäre, oder Tom wäre in ein anderes Auto gekracht und die Insassen wären schwer verletzt worden oder gar gestorben? Ich wäre meines Lebens nicht mehr froh geworden.
Johannes hat mir zwei Tage freigegeben, damit ich mich nach dem Schock erholen und mich um meinen Mann kümmern kann. Doch dem geht’s blendend, er flirtet bereits mit den Schwestern und schmiedet Pläne, wo er einen neuen MG Roadster auftreiben kann: feuerfest, in British Racing Green und Baujahr vor 1974, das sind die Kriterien. Er steht auf Oldtimer. Nur bei Frauen, da kann’s ihm nicht jung genug sein.
Mir gegenüber trägt das Stehaufmännchen plötzlich das Büßergewand: Ich hätte recht gehabt, er sei zu leichtsinnig gewesen. Im Stinsbacher Schuppen kommt der alte Montagekran weg, so hat er beschlossen, und alle sicherheitsrelevanten Reparaturen wird er in Zukunft an eine Fachwerkstatt abgeben. Na toll, jetzt kommt uns mein Attentat auch noch teuer.
Streuner leben nun mal gefährlich, sie sind aber auch widerstandsfähiger. Ich erkenne es daran, dass der schlimmere Patient bei uns zu Hause im Körbchen liegt. MacLeods Augen sind trüb, Schnauze und Nase trocken, und er frisst auch kaum mehr. In der kommenden Woche haben wir einen Termin bei der Tierärztin.
Er will mich nicht zur Witwe machen, hat Tom noch gesagt. Tja, so weit können die Interessen innerhalb einer Ehe auseinanderliegen. Da es ihm bessergeht und sein bisheriges Zimmer für neue Notfälle freigehalten werden soll, ist er verlegt worden, runter von der Unfallstation; und ich frage eine viel zu gut gelaunte Stationsschwester nach seiner neuen Zimmernummer.
Es gibt so viele überaus liebenswerte, kluge und engagierte Pflegekräfte in diesem Hospital – sie gehört definitiv nicht dazu. Sie scheint weniger um die Gesundheit ihrer Patienten besorgt zu sein als um ihre lackierten Fingernägel, und so knapp, wie ihr Schwesternkittel geschnitten ist, könnte sie ihr Geld auch vor dem Krankenhaus auf der Straße verdienen; wer weiß, vielleicht gehört ihr ganz individueller Service für Privatpatienten mit zum Leistungsumfang.
»Guten Tag, ich suche Herrn Krafft. Mit zwei F.«
»Und Sie sind …?«, flötet sie.
»Frau Krafft.«
Die Stationsbarbie schaut in den Unterlagen nach, in welchem Zimmer er untergebracht ist, und um die Zeit zu überbrücken, fragt sie nebenbei: »Sie sind eine Angehörige?«
»Ich bin seine Frau.«
»Ach ja?« Die Schwester zeigt mit dem Daumen den Flur hinab, und dabei denkt sie laut; sie spricht aus, was ihr spontan durchs hübsche Hohlbirnchen schießt: »Und wer hat dann gerade mit ihm im Zimmer rumge–«
Mitten im Satz bricht sie ab, ihr Kopf
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