Nicht Totzukriegen
Hause.
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Ich möchte sterben. Ich fasse nie wieder Alkohol an. Ich werde ein besserer Mensch. Ich schwöre! Mein Spiegel hasst mich, und ich hasse ihn, denn das Gesicht, was er mir zeigt, ist eine Katastrophe. Alle Ägyptische Erde seit Kleopatras Zeiten würde nicht ausreichen, um diese Gräben zu übertünchen, solche Erosionsschäden bekommt man nicht mal im Grand Canyon zu sehen.
In der Nacht bin ich aufgewacht, und mir ist von meinem eigenen Atem, der mir vom Kissen her entgegenschlug, schlecht geworden. Ich habe noch gehört, wie Tom nach Hause gekommen ist, und überlegt, ihn zu küssen und mit meinen fauligen Ausdünstungen zu ersticken. Aber dann bin ich wieder in einen komatösen Schlaf gefallen. Ihm geht es zum Glück nicht besser, es gibt noch einen Funken Gerechtigkeit in dieser Welt. Vorhin hat er sich schwer ächzend ins Bad geschleppt und derart lange geduscht; als ich endlich hineindurfte, war ich erstaunt, dass auf den Kacheln noch kein Moos gewachsen ist. Wenn wir beide das gleiche Los teilen, sollte man vielleicht vor den Drinks in dieser Kaschemme warnen. Fragt sich, wie es Björn geht. Muss ihn mal anrufen …
ICH MUSS BJÖRN ANRUFEN !
Wie ist er nach Hause gekommen, hat er auch Kopfschmerzen, kennt er mich noch? Von den Top Ten »Wie vergraule ich meinen Lover?« dürfte ich die ersten zwölf Punkte gestern Nacht komplett abgearbeitet haben. Schnell eine SMS zur Entschuldigung schicken!
Seine Antwort, in der er fragt, wie es mir geht, kommt kurz vor Mittag. Ich rufe ihn an, und er ist ein Schatz, er meint, es wäre okay so; von seinen Kumpels wäre er noch viel härtere Dinge gewöhnt; Details erspart er mir freundlicherweise. Jetzt allerdings frage ich mich, mit was für schrägen Vögeln er sich abgibt, die sich noch mehr danebenbenehmen als ich gestern. Von einem seiner Kumpel weiß ich immerhin, dass er mal zu besoffen war, um die eigene Haustür aufzuschließen, er hat deshalb, um in die Wohnung zu kommen, mit einem Blumenkübel das Schlafzimmerfenster eingeworfen. Leider wohnte er aber gar nicht im Erdgeschoss, sondern eine Etage darüber. Ganz schön krank. Will ich solche Leute kennenlernen?
Wollen die mich kennenlernen: die Mutti, die sich nachts vor der Bar auf die eigenen Füße kotzt? Lieber würde ich die anderer Leute nehmen, Yvonnes zum Beispiel. Wenn ich daran denke, wie diese Ziege gestern mit meinem Mann herumgemacht hat, kommt mir zusätzlich noch die Galle hoch. Ich könnte sie erwürgen! Auf den ersten Blick wirkt sie erschreckend munter, aber vorhin hat sie sich, während für sie der erste Cappuccino durchlief, apathisch an den Kaffeeautomaten gelehnt und mit geschlossenen Augen leise gewimmert. Ihr Pech, dass sie bisher nur einen befristeten Vertrag hat, sie muss vor Johannes noch Leistung zeigen. Mal überlegen, wie ich ihr unauffällig zusätzliche Arbeit aufhalsen kann.
Am frühen Nachmittag verabschiedet sich endlich der Restalkohol aus meiner Blutbahn, es kommt der Durst. Ich saufe wie ein Kamel! So kann mein Leben nicht weitergehen, ich muss mich entgiften und außerdem dringend wieder gegen den Verfall ankämpfen. Allein davon, dass sie mir monatlich die Kohle vom Konto abbuchen, wird mein Hintern nicht knackig. So schwer es auch fällt, ich schleppe mich ins Fitness-Studio.
Beim Aufwärmen zu »Bauch, Beine, Po« sehe ich noch Sternchen und frage mich, wie ich überhaupt die ersten fünf Minuten überstehen soll, aber mit der Zeit läuft es immer besser, Bewegung tut gut. Anschließend stehe ich müde und abgekämpft unter der Dusche und lasse das Wasser auf mich herunterprasseln. Damit werden auch meine Gedanken klarer. Meine Güte, habe ich gestern Glück gehabt! Wenn wir in dieser Kaschemme aneinandergeraten wären, hätte der Abend in einem kompletten Desaster enden können. Ich hätte geschrien und geschimpft, mich vor der johlenden Meute mit Yvonne gestritten und diesem Biest die Augen ausgekratzt, Tom hätte ich seinen Drink auf die Hose gekippt, bevor ich zum Schluss vom Barkeeper an die frische Luft befördert worden wäre.
Dann erst hätte ich vor die Tür gekotzt.
Man muss es positiv sehen: Daran gemessen, war ich doch eigentlich ganz vernünftig. Trotzdem: Es wird Zeit, dass sich was ändert. Anfangen werde ich im Wohnzimmer, es könnte ein paar neue Akzente vertragen.
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Rotweinflecken sind hartnäckig; sie bleiben, das unterscheidet sie von Lebenspartnern. Der in unserem Wohnzimmer ist, seit ich das Glas nach Tom geworfen
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