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Nicht Totzukriegen

Titel: Nicht Totzukriegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Vaske
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Metallgehäuse fest, er zittert am ganzen Körper, die Haare stehen ihm vom Kopf ab, und er schreit sich die Seele aus dem Leib.
    Endlich schießt mit einem Knall der Stecker aus der Steckdose, Tom lässt die Bohrmaschine los und fällt um. Tot.
    Erst kann ich gar nicht verstehen, was passiert ist, aber mit ein bisschen Nachdenken komme ich drauf. Wir haben also zwei getrennte Stromkreise im Wohnzimmer; interessant zu wissen, wenn die Sicherung für die Wand- und Deckenlampen rausfliegt, funktionieren die Steckdosen noch immer. Und das Prinzip gilt wahrscheinlich für alle Räume. Ich hatte mich immer schon gefragt, wozu in einem normalen Einfamilienhaus zwei Dutzend Sicherungen nötig sind.
    Der Kurzschluss muss dafür gesorgt haben, dass irgendwas in der Bohrmaschine durchgeschmort ist, daher das Qualmwölkchen. Eines der Kabel muss Kontakt mit dem Gehäuse bekommen und es unter Strom gesetzt haben, woraufhin 220 Volt durch Toms Körper geschossen sind.
    So hat er den elektrischen Schlag bekommen. Er liegt vor den Bohrlöchern quer auf dem Boden. Der Check der Vitalfunktionen ist für mich fast schon Routine, und er ergibt, dass Tom tot ist, wie immer. Jetzt muss er es nur noch bleiben, ausnahmsweise.
    Zwei der drei Bilder könnte ich nun aufhängen, ich müsste nur noch die Dübel einsetzen und die Schrauben hineindrehen; aber dafür ist es, nachdem die Sicherungen rausgeflogen sind, leider zu dunkel, das Wohnzimmer ist komplett ohne Strom. Kein Licht, kein Fernseher. Ätzend. Ich gehe rückwärts zum Sicherungskasten auf dem Flur, dabei bleiben meine Augen immer schön auf Tom gerichtet, keine Sekunde werde ich seine Leiche aus den Augen lassen, sonst steht er ratzfatz wieder auf. Das Spiel kenne ich mittlerweile. Ich werde bei ihm bleiben, bis er endgültig vermodert ist.
    Wenn meine Hand bei ausgestrecktem Arm eine Schuhlänge vom Sicherungskasten entfernt ist, kann ich gerade noch die Spitze seines Fußes sehen. Um die Sicherungen wieder reinzudrücken, brauche ich also eine Verlängerung, einen Stab, ein Lineal oder so etwas wie diese künstliche Hand, die alte Menschen benutzen, um sich zwischen den Schulterblättern zu kratzen. Freunde hatten uns vor Jahren so ein Teil aus Indonesien mitgebracht, aber das liegt oben im Badezimmer und damit in unerreichbarer Ferne. Was kann ich stattdessen benutzen? Die Fernbedienung für den Fernseher! Ich laufe ins Wohnzimmer zurück, um sie zu holen, dann bewege ich mich wieder Schritt für Schritt rückwärts zum Sicherungskasten, und nach ein paar misslungenen Versuchen gelingt es mir tatsächlich, mit der Fernbedienung die beiden Schalter hochzudrücken.
    Wenn ich’s nicht schon wär, könnte ich bei dem Fernsehprogramm glatt zum Mörder werden. In der ARD läuft eine Liebeskomödie, in der die Heldin nicht peilt, dass ein reicher, gutaussehender Hotelerbe von der Côte d’Azur für sie der ideale Ehemann wäre: Sie sind wie füreinander geschaffen, doch statt sich ihm an den Hals zu werfen, kehrt sie lieber ins verregnete Schleswig-Holstein zurück. Mit Logik wäre der Film nach fünf Minuten zu Ende, aber laut Videotext soll das Elend fast zwei Stunden dauern. Das ZDF will mich mit ’nem Freitagskrimi beglücken, aber deren narkotisierende Wirkung kenne ich, da ist die Gefahr, einzuschlafen, zu groß, also zappe ich einfach wild durch die Sender. Das hält wenigstens wach.
    Auf ProSieben ein echtes Highlight:
Die Hard
mit Bruce Willis, der Film zum Thema. Tom hat ihn immer so gern gesehen, auch in der dreiundachtzigsten Wiederholung. Die Explosion, mit der die Terroristen das Foyer des Wolkenkratzers in die Luft jagen, bewahrt mich das erste Mal vor dem Einschlafen; Zeit für die erste Dose Red Bull. Das Zeug soll Flügel verleihen? Aber hallo! Es wirkt phänomenal; ich fühle mich wie Asterix auf Zaubertrank, jetzt könnte ich gut eine Runde joggen oder mich im Fitness-Studio austoben. Stattdessen sitze ich hier und passe auf, dass mein Mann schön weiter tot bleibt.
    Ich fürchte, die Nacht wird noch sehr lang werden. Aber wie wäre es, wenn das Sofa mitten im Raum stünde und nicht mehr seitlich an der Wand? Dann hätten wir zwar weniger Platz, aber das Wohnzimmer wäre klarer gegliedert. Ich fange an, die Möbel neu zu stellen.
    »Na mein Junge, du könntest ruhig mal mit anpacken.« Es ist kurz vor eins, als ich erstmals mit der Leiche rede. Noch antwortet sie nicht, ich werte das als Etappensieg gegen den Wahnsinn der letzten Tage.
    Aber Red Bull treibt,

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