Nicht Totzukriegen
und das wird zu einem massiven Problem. In meiner Planung hatte ich nicht berücksichtigt, dass ich zwischendurch auch mal muss, und von der Toilette aus habe ich Tom nicht im Blick, und wenn ich ihn auch nur einen einzigen Moment aus den Augen lasse, wird er bestimmt gleich wieder lebendig. Um mich trotzdem zu erleichtern, stehen mir zwei Blumenvasen und die leeren Getränkedosen zur Verfügung, ich könnte sie in der Küchenspüle ausgießen. Nicht sehr ladylike, aber irgendeinen Tod stirbt man immer; ’tschuldigung, Tom. Ich habe eine andere Idee: Ich stelle das blitzblanke Chromtablett aus dem Wohnzimmerschrank und den Wandspiegel, der im Flur hängt, einander gegenüber an die Pfosten der Wohnzimmertür, und wenn ich dazu auf der Toilette sitzend meinen Make-up-Spiegel in der Hand halte, kann ich Tom auch beim Pinkeln überwachen. Leider steht meine Handtasche mit allen Schminkutensilien an der Haustür, aber nach ein paar Verrenkungen kann ich sie mit einem langen Bein angeln und zu mir ziehen.
Tom hat sich, seit er tot ist, keinen Millimeter bewegt, die Leichenstarre dürfte eingesetzt haben, und er bekommt so komische Flecken: Unten, wo er auf dem Boden liegt, wird er grün und lila. Igitt, ich mag gar nicht hinsehen. Ist das in der Zeit normal? Er liegt doch noch gar nicht so lange da. Was ist, wenn er matschig wird und zerläuft, dann ruiniert er uns womöglich das schöne Parkett. Vielleicht kann ich mich wieder mit Fernsehen ablenken. Ich habe die Wahl zwischen den schönsten Bahnstrecken der Welt oder uralten Reality-Shows, die sie spät in der Nacht wiederholen und in denen zahnlose Grenz-Alkoholiker sich gegenseitig wild beleidigen. Dann doch lieber die schönsten Bahnstrecken. Mit einer weiteren Dose Red Bull werde ich die Zugfahrt von Matjiesfontein bis nach Kapstadt schon durchhalten.
Draußen ist es hell geworden, die Sonne scheint. MacLeod kommt angeschnüffelt, er ist fast genauso erschöpft wie ich, das allerdings schon seit Tagen. Die Tierärztin hat ihm Aufbaupräparate verabreicht, damit er wieder zu Kräften kommt, aber sie schlagen nicht an. In der kommenden Woche haben wir den nächsten Termin, dann bekommt er Ultraschall, um festzustellen, ob sein Zustand organische Ursachen hat. Die Ärztin tippt auf die Schilddrüse. Nichts Schlimmes, sagt sie.
Um weiter wach zu bleiben, wäre ein Espresso schön, aber ich kenne mich, dann muss ich erst recht alle paar Minuten aufs Klo. Stattdessen mach ich mir ein Müsli. Nach dem Frühstück beginne ich zu putzen; hinter dem Sofa hat sich viel Dreck angesammelt, und auch die Fotorähmchen und Souvenirs im Wohnzimmerschrank müssen mal abgestaubt werden. Ich poliere auch das Besteck und den silbernen Kerzenleuchter. Aber die Anstrengung macht müde. Ich sitze an die Wand gelehnt in einem Wohnzimmer, das um die Leiche herum nach meiner Reinemacheaktion wie geleckt aussieht. Nur die Fliegen stören. Ich bin jetzt seit 28 Stunden ohne Schlaf, und draußen lockt wunderbarstes Sommerwetter. Ich könnte die Vorhänge aufreißen, die Sonne hereinlassen, mich auf die Terrasse legen und schlafen. Schönes Wochenende, Nicole …
»Tom«, frage ich, »warum tust du mir das an? Warum betrügst du mich? Was hat sie, was ich nicht habe, abgesehen von Gazellenbeinen, seidenweicher Haut, festen Brüsten, einem tollen Arsch, diesem süßen Augenklimpern und den kurzen Kleidchen, die sie trägt?« Hab ich was vergessen?
Die Antwort bleibt er mal wieder schuldig, so sind Männer, wenn man ihnen Vorwürfe macht, stellen sie sich taub, egal ob tot oder lebendig. Aber wir hatten doch eine schöne Zeit zusammen, die Flitterwochen in den Rocky Mountains, weißt du noch, mit dem notgeilen Bergführer, der immer um unsere Lodge strich, oder der Karibik-Urlaub im Winter, als wir fast den Flieger verpasst hätten, deine Uhr war am Strand stehengeblieben, und die Zeit reichte nicht mehr, um uns umzuziehen. Wir haben nur unsere Sachen in den Koffer geworfen und sind zum Flughafen gerast, einchecken mussten wir in Strandkleidung. Was sich nach der Landung in Deutschland bitter rächte, als wir bei minus 5 Grad im Parkhaus unser Auto gesucht haben, in T-Shirts und Bermudas. Noch weit bis in den Frühling hinein hatte ich mit den Spätfolgen der Bronchitis zu kämpfen.
Woher kommen nur die vielen Fliegen? Ich schaue mich im Wohnzimmer um. Die Quelle kann ich nicht erkennen, aber beim zweiten Blick stört das Sofa auf dem Weg in die Küche. So wie es vorher stand, war es
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