Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)
geschenkt. Ein Band aus unserer Dostojewski-Sammelausgabe zum Beispiel. »Der Idiot« steht jetzt einsam in einem Bücherregal in der Schweiz. Das ärgert mich. Einerseits. Andererseits weiß ich natürlich, dass meine Mutter einfach kein Geld hat, um richtige Geschenke zu kaufen. Manchmal gibt sie dann eben das, was ihr selbst am wertvollsten ist. Und diese Fähigkeit, alles loslassen zu können, bewundere ich. Meine Mutter schenkt gern und von Herzen. Es ist ihr egal, dass der Wert, den sie verschenkt, meistens in keinem Verhältnis steht zu dem Wert, den der Beschenkte damit verbindet.
Nur selten hat es mich gestört, keine größeren Geschenke zu bekommen. Es gab schon Dinge, die ich als Schülerin als notwendig angesehen hätte und nicht haben konnte. Klamotten zum Beispiel, ich habe mich ständig schlecht angezogen gefühlt. Hatte ich etwas Taschengeld gespart, habe ich es für Bücher oder einen Walkman ausgegeben. Musikhören im Park, das war wichtig. Im Studium habe ich mit dem Geld ebenso jongliert wie meine Mutter – zwischen eisernem Sparen und unvernünftigem Lustkauf von Sehnsuchtsobjekten, Büchern, Sprachkursen, einer kleinen Reise, einem besonders guten Kaffee.
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Aber das fehlende Geld konnte manchmal auch zu Tränen führen. Mein erster Fasching im Kindergarten beispielsweise war eine Katastrophe. Es standen nur die gleichen bunten Tücher wie jeden Tag zum Verkleiden zur Verfügung, die zwar zu Hause ihren Zweck erfüllten, aber außerhalb meiner eigenen kleinen Welt schienen sie mir trotz des guten Zuredens meiner Mutter nicht mehr gut genug. Ich wusste, dass die Mädchen in rosa glänzenden Satinkostümen als Prinzessinnen kommen würden, mit silbernen Kronen auf dem Kopf. Ich wollte auch eine Prinzessin sein. Ich liebte Märchen und Prinzessinnen und trug oft ein Märchenbuch mit mir herum. Doch selbst von unseren edelsten Alltagskleidungsstücken sah ich mich nicht geadelt – dann lieber gar kein Kostüm. Also ging ich missmutig zum Kindergarten, sah meine Konkurrentin mit ihren langen hellblonden Haaren unter der Krone und meine beste Freundin in einem perfekten Mauskostüm mit großen grauen Ohren auf dem Kopf. Eine Kindergärtnerin hat die Situation erkannt und mich im Nebenraum geschminkt, mir eine weiße Stola über die Schultern gelegt und eine Schleife ins Haar gebunden. Ich war dann irgendetwas Spanisches. Ich war zwar noch nicht zufrieden, aber fähig, mich in den Kreis der tanzenden Prinzessinnen, Mäuse und Piraten einzureihen. Es gibt ein Foto von diesem Tag, auf dem ich noch mit Tränen in den Augen zwischen den anderen im Gewusel stehe, die weiße Stola über meinem rotblau gestreiften Nikkipullover.
Fasching war seitdem jedes Jahr ein Problem. Einmal rettete mich der ausgediente schwarze Cordmantel meines Vaters. Mit einem Plastikgebiss wurde er zu einem passablen Vampirkostüm. Es war das Jahr, in dem unsere Mathelehrerin Frau Wiese die Geschichte vom kleinen Vampir vorgelesen hatte. Meine Freundinnen und ich waren monatelang im Vampirfieber.
Problematischer war das Jahr, in dem ich als Schildkröte gehen wollte. Ich war vernarrt in Schildkröten, spätestens seit Michael Endes »Unendliche Geschichte«. Und ich wünschte mir so sehr einen richtigen Panzer, den man auf den Rücken schnallen konnte. Ich wollte nicht nur aussehen wie eine Schildkröte, ich wollte mich in eine verwandeln. Meine Mutter lief müde hinter mir durch die Kaufhäuser. Ich kaufte grüne Leggings, ein grünes T-Shirt, Textilfarbe, bemalte es mit einem Schildkrötenpanzermuster und versuchte schließlich, ein Gebilde aus grüner Pappe zu basteln. Er sah am Ende aus wie ein großer Chinahut. Ich war also hauptsächlich grün und musste in der Schule erklären, dass mein Kostüm auf keinen Fall einen Frosch darstellen sollte.
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Ich habe als Kind immer gern an alles Magische geglaubt, an Hexen, an Wunder, an Pippi Langstrumpfs überirdische Kräfte. Ich wollte nie ganz ausschließen, dass es Übernatürliches gibt. Aber an den Weihnachtsmann und den Nikolaus habe ich, soweit ich mich erinnern kann, nie geglaubt. Meine Mutter hat mir die Geschichte vom heiligen Sankt Nikolaus erzählt, aber sie hat nicht versucht, mich zu überzeugen, dass es ihn noch gibt. Sie war damals ja fast nie ohne mich einkaufen, trotzdem hat sie es manchmal geschafft, etwas unbemerkt mitzubringen. Schwieriger war es, diese Dinge erfolgreich vor mir versteckt zu halten, wenn ich wusste, ein Feiertag naht. Ich war ein furchtbar
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