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Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)

Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)

Titel: Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Undine Zimmer
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Eltern die Zeit mit mir am kostbarsten. Mit allem anderen halten wir es wie früher: kaufen, wenn das Bedürfnis groß und die Gelegenheit gut ist. Mal helfe ich ihnen, mal sie mir.
    Meine Eltern richtig zu beschenken ist im Gegenzug auch nicht gerade einfach. Ich möchte ihnen etwas schenken, was sie brauchen oder was sie glücklich macht. Aber oft kann ich mir diese Dinge gar nicht leisten: einen Schrank für meine Mutter beispielsweise, Laminat zum Auslegen ihrer Wohnung, einen Lammfellmantel, damit sie im Winter nicht friert. Mein Vater braucht eine Regalwand, ein behindertengerechtes Fahrrad oder jemanden, der ihm seine zahllosen Videokassetten sortiert. Und am Ende sind es dann doch ganz kleine, banale Dinge, über die sich meine Eltern am meisten freuen. Die Finger meines Vaters sind ziemlich taub, er ist immer auf der Suche nach Schlüsselanhängern, die er in der Tasche gut greifen kann. Er hatte schon immer Angst, dass er seine Schlüssel verliert. Ich habe ihm von unterwegs eine kleine Stoffschildkröte als Schlüsselanhänger mitgebracht. Er mag die niedlichen Tierchen. Ich musste die Schildkröte sofort an seinen Schlüsselbund fummeln. Mit einem Stofftierchen dran können die Schlüssel nicht so leicht irgendwo durchrutschen, und obendrein hat mein Vater immer einen kleinen Gefährten in der Tasche.
    Das Größte, was meine Mutter mir in meinem Leben geschenkt hat, ist die Fähigkeit, mich über kleine Dinge sehr zu freuen. So wie sie selbst und auch mein Vater es kann. Eine Geste, auch Zeit ist für mich ein Geschenk, kostbarer als eine teure Uhr.
    Die idealen Feste und Feiertage, da sind meine Mutter und ich uns einig, sollten sein wie in den Kurzgeschichten von Bella Chagall. Die Frau des berühmten Malers Marc Chagall ist in einem kleinen Dorf in einer jüdischen Familie aufgewachsen. Sie hat ihre Kindheit in zwei Erzählbänden beschrieben. Meine Mutter hat mir oft daraus vorgelesen. Wir haben uns gemeinsam vorgestellt, wie Bellas Mutter den Samowar auf den Tisch stellt, das Kindermädchen Bella und ihren Brüdern zeigt, wie Brot gebacken und an Feiertagen Honigkuchen verschenkt wird. Man glaubt, wenn man die Geschichten liest, den warmen Schein der Kerzen zu fühlen und das frische Brot zu riechen. Diese Geschichten erzählen von einer Gemeinschaft und Geselligkeit, die es bei uns nicht gab. Aber sie ermöglichten uns, eine Vorstellung davon zu gewinnen, wie es sich anfühlen müsste, richtig zu feiern. Und jetzt, da ich älter bin, habe zumindest ich gelernt, wie man etwas von dieser Atmosphäre selbst erzeugen kann.

KAPITEL ACHT
    Die Empfindsame
    In dem es um meine alleinerziehende Mutter geht, um Nachkriegskindheiten und darum, dass selbst große Anstrengungen nicht immer zum gewünschten Ergebnis führen.
    Mein Telefon klingelt. Es ist Samstag, halb acht Uhr morgens. Am Abend vorher habe ich bis um eins gearbeitet und hatte gehofft, länger schlafen zu können. Aber nun ist meine Mutter am Telefon. Sie sagt mit zerbrechlicher Stimme: »Undine, als du drei Jahre alt warst, da haben wir einmal zusammen getanzt und dann wollte ich alleine tanzen, aber du wolltest nicht loslassen. Da habe ich zu dir gesagt: ›Du machst mir alles kaputt‹. Das war egoistisch. Ich habe viel falsch gemacht, das tut mir leid. Ich wollte doch immer nur das Beste.«
    Ich erinnere mich nicht an diesen Vorfall. Aber wenn meine Mutter sich sehr einsam fühlt und der Kontakt zu ihrer Tochter zu lange unterbrochen war, gehen ihre Gedanken auf Reisen, meistens in die Vergangenheit. Das ist mitunter anstrengend. Bin ich nicht auf einen solchen emotionalen Ausbruch vorbereitet, kann ich recht grob werden. Hinterher tut es mir dann leid.
    Früher glaubte ich oft, solche emotionalen Überfälle meiner Mutter nicht aushalten zu können. Ich fühlte mich dabei selbst hilflos, unverstanden, irgendwie innerlich aufgeschürft und genervt. Aber meine Mutter ist meine Mutter. Sie würde alles für mich geben. Sie war immer für mich da. Für sie gab es niemanden.
    Mütter und Töchter werden in amerikanischen Fernsehserien entweder als absolute Gegenpole oder als beste Freundinnen dargestellt. Wir sind beides. Meine Mutter ist ein starker und wunderbarer Mensch, aber man muss sie verstehen. Ich habe immer das Bedürfnis, sie zu verteidigen. Doch ich kann nicht über meine Mutter reden, ohne vorher über mich zu sprechen – und unsere Beziehung.
    Ich stöbere in unserem »Schatzkästchen«, einer kleinen Holzkiste, auf die ich als

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