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Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)

Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)

Titel: Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Undine Zimmer
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verloren, wenn ich mitbekam, wie andere feierten. Bei uns konnte jeder ansagen, was als Nächstes passieren sollte. »Packen wir jetzt die Geschenke aus? Oder erst noch etwas lesen?« Die Vorschläge meiner Mutter waren die gleichen wie sonst auch: ein Spaziergang, der an einem solchen Tag eben Weihnachtsspaziergang hieß, eine Partie Schach oder etwas lesen. Wir versuchten, es feierlich zu machen und die Geschenkübergabe hinauszuzögern. Aber es funktionierte nicht richtig. Sosehr man uns um unsere Freiheit beneiden konnte, sosehr konnte man uns auch bemitleiden. Obwohl ich von anderen gehört habe, wie sehr Familientraditionen und vorgeschriebene Abläufe auch nerven können.
    Als ich älter wurde, hatte ich keine Lust mehr auf Weihnachten zu Hause. Ich dachte wehmütig an die festlich geschmückten Wohnzimmer meiner Freundinnen und wünschte mich weg. Einige unserer Feste waren da schon spannungsgeladen verlaufen, besonders in den Jahren, in denen ich als 18-Jährige aus Schweden nach Hause zu Besuch kam. Oft war ich an den Feiertagen, außer an Heiligabend, gar nicht wirklich da, weil ich Freunde besuchte oder beim Weihnachtsstück in der Kirche mitspielte. Zwei Jahre kam ich gar nicht nach Hause, sondern blieb in Schweden. Wenn ich zurückdenke, müssen es sehr einsame Jahre für meine Mutter gewesen sein.
    *
    Erst seitdem ich ganz nach Deutschland zurückgekehrt bin, haben sich einige Traditionen herausgebildet. Ich habe mich daran gewöhnt, den Part des Gastgebers zu übernehmen. Eine Zeitlang sind meine Mutter und ich in die Mitternachtsmessen gegangen. Mal in Zehlendorf, mal im Sankt Hedwigsdom in Mitte, mal in Spandau. Ich habe angefangen zu kochen. Während meine Mutter immer noch das Gleiche kocht wie früher, habe ich in verschiedenen Familien gelernt, von Mitschülerinnen und Sprachpartnern aus Dänemark, Schweden, Finnland, Brasilien, Polen, Palästina und England. Was immer ich während des Jahres als neues Gericht entdecke und denke, es könnte meiner Mutter schmecken, bereite ich zu. Mehrere Gänge, Gebäck, Rezepte, die stundenlange Vorbereitungen erforderlich machen. Meistens ist meiner Mutter der Aufwand etwas zu groß und ich verschätze mich oft in der Zeit, die solche Gerichte brauchen. Aber immer haben wir das Essen genossen. Der Prozess des Kochens ist also Teil unserer Weihnachtstradition geworden. Was am Ende auf dem Tisch steht, ist nicht so wichtig.
    Ein paarmal haben wir auch meinen Vater eingeladen. Mal war er bei uns, mal wir bei ihm. Meine Eltern sind neugierig auf sich geworden. Das hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt. Ich lasse sie dann miteinander reden, habe nicht mehr das Gefühl, dass ich vermitteln muss, sondern kümmere mich um das Essen. Es ist sogar amüsant für mich, sie einander Geschichten neu erzählen zu hören, die ich von beiden längst kenne. Mein Vater sucht dann irgendwelche Bilder von Kindheitsorten meiner Mutter bei Google Earth heraus. Das ist eine Art Geschenk von ihm. Meine Mutter und ich schenken ihm Marzipankartoffeln. Die liebt er, auch wenn er jedes Jahr sagt, dass er keine essen darf, weil sie ihn zu dick machen. Wenn ich ihn dann nach Weihnachten besuche, ist nirgendwo mehr eine Marzipankartoffel aufzutreiben. »Hach, ich bin einfach eine schreckliche Naschkatze«, sagt er dann und guckt mich mit einem schuldbewussten Lächeln an. Er hat recht, er müsste sich besser ernähren. Aber er hört nicht auf zu rauchen und isst zu viele Süßigkeiten. Und was viel wichtiger ist, er entscheidet sich immer im letzten Moment dafür, das Geld für die Bewegungstherapie im Wasser einzusparen. Das ist eigentlich schlimmer als die Marzipankartoffeln. Aber da ist nichts zu machen. Meine Eltern sind beide Sturköpfe.
    Vielleicht verläuft unser Heiligabend mittlerweile herzlicher als in vielen anderen Familien, obwohl ich ihn lange für den einsamsten und tristesten Tag des Jahres hielt. Nur Geschenke sind nebensächlich. Ich habe meine Eltern davon überzeugt, mir nichts mehr zu schenken. Ihre gemeinsamen Versuche, etwas für mich zu finden, haben mich mehr enttäuscht als gefreut, weil sie letztendlich Geld für etwas ausgegeben haben, das ich absolut nicht haben oder lesen wollte. Weil sie meine wirklichen Wünsche, selbst die verhältnismäßig kleinen, nicht erfüllen können. Meine Eltern leben immer noch mit einem Budget, in dem zwanzig Euro einen großen Unterschied machen. Also gebe ich unser Geld lieber für gutes Essen aus. Sowieso ist meinen

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