Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)
auszudrücken und etwas für mich zu tun.
Als ich etwas größer war, gingen wir manchmal gemeinsam in seine Stammkneipen. Das fand ich aufregend. Mein Vater hatte dann oft Musikvideos von der britischen Sängerin Kate Bush dabei – »die mit der Mickymausstimme«, krittelte meine Mutter. In einigen Lokalen gab es einen Videorecorder und wir durften die Videos gucken, was meine Mutter nicht mochte. Mein Vater trank dann ein Bier, ich bekam einen Saft und manchmal einen Toast Hawaii. Die Wirte kannten meinen Vater. Sie bewunderten meine blauen, etwas schrägen Katzenaugen. »Die wird mal was«, meinten sie zu meinem Vater. Kneipengerede.
Im Herbst 2011 schrieb er mir in einem Brief: Es ist wahr. Ich habe liederlich gelebt. Dauernd in Kneipen gehockt, viel getrunken, aber nichts erlebt, nur still in der Ecke gesessen und mich weggeträumt. Dabei hat sich auch viel Geld ›weggeträumt‹. So deprimierend, wie die Arbeitslosigkeit ist, so quälend ist es, einen Job zu machen, der einem ›bis hier‹ steht, und keine Möglichkeit zu sehen, davon wegzukommen. Nein, das ist keine gute psychische Voraussetzung für eine verantwortungsbewusste Vaterrolle. Natürlich habe ich auch davon geträumt, was ich meiner kleinen Undine gern alles bieten würde. Und mit jedem Bier wurden die Träume schöner. Und dann am nächsten Tag die Absage an dich: Ich kann heute nicht kommen, bin krank.
Seit seinem Unfall wartet er darauf, dass ich zu ihm komme. Und ich gebe mir Mühe, ihn nicht zu lange warten zu lassen. Jetzt, wo wir endlich gelernt haben, uns zu verständigen.
KAPITEL SIEBEN
O Du Schreckliche
Handelt von misslungenen Geburtstagspartys, einem selbstgebastelten Faschingskostüm, das kein Frosch sein soll, und von Geschenken, die sich nur selten an die Feiertage halten.
Feste sind für die meisten Kinder unbeschwerte Erlebnisse. Die Eltern nehmen alles in die Hand, und für ein Kind sind es Tage, an denen es an nichts denken muss, sondern einfach nur genießen kann, was die Eltern sich an Überraschungen ausgedacht haben. Das war bei mir anders.
Wie feiert man eigentlich einen Geburtstag, wenn man nur zu zweit ist und keiner von beiden eine Ahnung hat, wie so ein Fest »richtig« gestaltet wird? Die Mutter fragt die Tochter, was sie möchte. Die ist aber noch im Kindergartenalter und hat bestenfalls vage Vorstellungen – vielleicht noch gerade davon, was wann wo stattfinden soll und was es unbedingt zu essen geben muss. Aber für etwas anderes als einen selbstgebackenen Kuchen war bei uns kein Geld da. Selbstgebackener Kuchen ist ja auch eigentlich etwas Schönes. Meine Mutter hat immer Marmorkuchen gebacken, weil das der einzige Kuchen war, den sie backen konnte. In meinen Augen war das ein »Erwachsenenkuchen«. Ich hätte gern tiefgefrorene Sahnetorten gehabt.
An ein Unterhaltungsprogramm, an Kostüme, an einen Ausflug zu McDonald’s, in den Zoo oder ins Kino – an all das, was an anderen Kindergeburtstagen stattfindet – war gar nicht zu denken. Mein Geburtstag musste überwiegend mit den Mitteln bestritten werden, die es eh schon bei uns zu Hause gab. Zusätzliche Anschaffungen mussten einen engen Rahmen einhalten. Eine Packung Wunderkerzen, ein paar besondere Süßigkeiten, damit war er ausgeschöpft.
Der Geburtstag verlief dann recht improvisiert, denn meine stille Mutter ohne robuste Kindererfahrung war mit vielen tobenden Kindern einfach überfordert. Dafür aber durften wir mit den Möbeln spielen, die Matratzen umstellen, uns mit allen Tüchern und Gardinen verkleiden, die es in der Wohnung gab. Trotzdem fehlte jemand, der das Ganze anleitete oder Streit schlichtete. Meine Mutter ließ uns einfach machen.
Vielleicht ist es deshalb nicht verwunderlich, dass meine schönste Geburtstagserinnerung eine ganz intime ist, die nur meine Mutter und ich teilen. Wir wohnten in Kreuzberg, gegenüber vom Waldeckpark, wo im September, in dem ich Geburtstag habe, die Strauchrosen blühen und duften. Der Park war mein Reich, die Schaukel aus dem alten Autoreifen hatte ich bei meinem ersten Besuch sofort in Beschlag genommen, mit den Sandkisten und den Schaukelpferden fühlte ich mich vertraut. Ich wusste, wo die Büsche Höhlen haben, und ich war dort auf dem Spielplatz in meiner eigenen Welt, meistens allein.
Am Abend vor meinem sechsten Geburtstag schlichen meine Mutter und ich uns in der Dämmerung in den Park. Ein richtiges Streiche-Gefühl verband uns. Meine Mutter hatte eine Plastiktüte und eine Kneifzange
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