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Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)

Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)

Titel: Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Undine Zimmer
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hatten.
    Als ich im Flugzeug saß und ein wässriges braunes Getränk aus einer roten Plastiktasse nippte, schmeckte mir dieser Kaffee besser als jeder, den ich bisher getrunken hatte. Ich fühlte mich, als ob ab jetzt alles möglich wäre. Ich fühlte mich reich.

KAPITEL ACHTZEHN
    »Ihr Kontostand: Soll EUR 16537,60«
    In dem ich auf mein abgeschlossenes Studium und einen riesigen Schuldenberg blicke und mich frage: Was nun?
    »Wenn ich einmal sterbe und dich jemand fragt, ob du mein Erbe annehmen willst«, sagt mein Vater am Telefon, »dann schlag es bloß aus! Du darfst nichts annehmen, unter keinen Umständen! Das sind nur Schulden!« Er klingt ausgesprochen bestimmt, als er das sagt. Was kann es Fürsorglicheres geben, als von seinem eigenen Vater beiläufig auf dessen noch unvorhersehbares Ableben hingewiesen zu werden? Aber das Thema ist ihm wichtig. Wenigstens nach seinem Tod soll niemand Ärger wegen seiner Angelegenheiten haben. Mit dieser Mahnung will er mir etwas Gutes tun und mich vor Falschem bewahren. Seine Schulden betragen maximal um die tausend Euro, die ich dann begleichen müsste. Unschön, aber überschaubar.
    Darin versteckt liegt eine Ironie, über die sich wahrscheinlich nur Menschen mit meinem Humor freuen können. Denn zu der Erbschaft meines Vaters zählen ja nicht nur Schulden. Auch seine Beziehung zu mir, seiner Tochter, gehört dazu. Und gerade wegen der vielen schwierigen Jahre, die wir durchstehen mussten, ist sie für mich von ganz besonderem Wert, sie ist unbezahlbar.
    *
    Unbezahlbar kommen mir allerdings auch meine eigenen Schulden vor. Denn ich bin in diesem Punkt nicht besser dran als mein Vater. Ich würde also auch ihm im Zweifelsfall raten, mein Erbe auszuschlagen. Denn, wenn auch nicht auf meinem Girokonto sichtbar, auf meinem Bildungskonto befinden sich 16537,60 Euro Minus. Knapp siebentausend Euro schulde ich der KfW-Bank für mein Abschlussdarlehen. Und der Rest sind meine BAföG-Schulden.
    Es gibt Situationen im Leben, in denen man sich Schulden aufhalst, bei denen die gefühlten Schulden viel größer scheinen als die eigentliche Geldsumme. Als ich nach Schweden ging, unterstützte mich der Vater einer Freundin, Patentingenieur bei Siemens, mit einer kleinen monatlichen Summe, damit ich in Schweden weiter zum Musikunterricht gehen konnte. Ich weiß nicht mehr, ob er das alle drei Jahre hindurch gemacht hat. Aber ich weiß, dass er es getan hat, ohne damit zu rechnen, dass er das Geld jemals zurückbekommt. Es war die Investition eines anderen in meine Zukunft. So eine Unterstützung erleben zu dürfen ist einerseits ein Glücksfall. Er könnte vielleicht sogar den Glauben in die Menschheit bestärken. Aber ich habe kein gutes Gefühl, wenn ich daran denke. Einmal im Jahr fällt es mir ein und ich rechne mir aus, wann ich die Summe vielleicht einmal zurückzahlen kann. Das belastet mich, es ist, als würde ich jemandem etwas ganz Wichtiges noch nicht zurückgegeben haben.
    Als ich kürzlich von einer Weiterbildungsinstitution die monatlichen Gebühren erlassen bekam, was ich aber niemandem sagen durfte, habe ich mich nicht wirklich gefreut. Zu solchen Auszeichnungen habe ich ein gespaltenes Verhältnis. Auf der einen Seite hat man oft keine andere Wahl, als das Angebot anzunehmen. Gleichzeitig entstehen daraus immer Abhängigkeiten, die sich unterschwellig bei jedem kleinen Konflikt wieder melden. Und welche Befriedigung soll darin liegen, bei offiziellen Bewerbungen um ein Stipendium abgelehnt zu werden und dann ein heimliches »Mitleidsstipendium« zu beziehen? Keine. Im Gegenteil, es zieht mein Selbstvertrauen eher nach unten. »Ist doch alles Quatsch«, sagen meine Freunde. »Was man geschenkt bekommt, bekommt man geschenkt.« Aber so kann ich es nicht sehen. Solche Arrangements belasten mich, so willkommen die Hilfe in einem Moment auch sein mag, in dem man nicht weiter weiß. Und sie drücken auf den Schuldenberg, den ich sowieso immer im Kreuz spüre.
    *
    Das BAföG-Amt in Berlin liegt in der neuen Mitte, gleich neben dem Gendarmenmarkt, zwischen der Fakultät für Jura und den teuersten Hotels in Berlin. Das BAföG-Amt hat lange Flure, wie jedes Amt. Unten hängen an den Wänden mahnende Hinweise, Fristen zu beachten. Die Flure sind nach den Buchstaben des Alphabets geordnet. Da »Z« ganz hinten ist, musste ich in diesem Fall bis ganz nach oben gehen. Im Treppenhaus sind Gitter angebracht. »Damit niemand runterspringt«, witzelte jemand.
    Wer hier ist, für

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