Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)
aber könne ich ihm weder sagen, wann ich mein Studium abschließen würde, und da der Markt für Geisteswissenschaftler derzeit nicht so rosig aussehe, könne ich mich auf seinen vorgeschlagenen Deal überhaupt nicht einlassen. Ich war auch auf ihn sauer. Schamsauer. Ich habe nie wieder mit ihm geredet. Auch meine Mutter und ich haben das Thema gemieden.
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Meine erste kleine Wohnung in Zehlendorf bekam ich, weil ich die Vermieter über Freunde kannte, die nur versichert haben wollten, dass ich die Miete monatlich würde zahlen können, ohne mir irgendwelche Gehaltsnachweise abzuverlangen. Aber solche Vermieter gibt es selten. Das Kabuff unter dem Dach war früher eine Lehrlingswohnung gewesen, die zu der Bäckerei unten im Haus gehörte. Im winzigen Schlafzimmer, in dem sich auch die Dusche befand, stand ein Hochbett und im »Wohnzimmer« befand sich eine Küchenzeile mit einem Kühlschrank und zwei Herdplatten, außerdem mein Schreibtisch mit meinen Regalwänden. Mehr brauchte ich ja auch nicht.
Mit einer Studienkameradin zog ich später in die Zwei-Zimmer-Wohnung nebenan. Danach teilten wir zu dritt eine heruntergekommene Wohnung im Wedding und fortan lebte ich nur noch in Wohngemeinschaften. Als Nächstes in einer Vierer-WG mit drei Architekten in einer der ehemaligen Edelplatten am Alexanderplatz. Mein Zimmer war hell, billig, zentral und 15 Quadratmeter groß. Es gab eine große Wohnküche mit Panoramablick auf das Dach des Sealife, auf den Berliner Dom und den Palast der Republik.
In der Zweier-WG mit meiner Kommilitonin hatte diese ungefähr den gleichen Lebensstandard gehabt wie ich. Sie wurde zwar von ihren Eltern unterstützt, kam aber mit extrem wenig Geld aus. In meiner neuen WG konnte ich nun andere Lebensgewohnheiten beobachten. Schon eine solche Wohnung in einer so zentralen Lage hätte niemand von uns bekommen, wenn nicht die Eltern meiner Mitbewohner gebürgt hätten. Keiner meiner Mitbewohner musste wirklich arbeiten gehen, auch wenn sie immer wieder kleinere Jobs annahmen. Bei Festen oder anderen privaten Angelegenheiten sagte man den Job im Zweifelsfall wieder ab. Ich dagegen konnte meine Arbeitsschichten nur absagen, wenn ich dafür eine andere Schicht übernahm. Auch wusste ich nie genau, wie viel Geld ich haben würde, in guten Monaten konnten es über 700 Euro, in schlechten nur knapp 500 Euro sein, wenn die Schichten kürzer waren oder gerade alle arbeiten wollten, weil der Urlaub oder die Semestergebühren anstanden. Ich habe mein Leben nach den Schichten und den Urlauben und Prüfungszeiten anderer organisiert und alle Schichten genommen, die sonst keiner haben wollte: freitagabends, samstagabends, Sonntag früh und Feiertage.
Ich lernte, dass jeder gern über Geld spricht und noch lieber darüber, wo es fehlt. Und dass sich daraus ganz unterschiedliche Verhaltensreaktionen ableiteten. Einmal berichtete mir Philine, die Freundin des einen Architekten, sie hätte diesen Monat nur »ganz wenig Geld in der Tasche gehabt«. Jeden Euro habe sie umdrehen müssen. Der Einkauf bei Kaiser’s sei dementsprechend eine spannende Erfahrung gewesen. Das Experiment habe aber Spaß gemacht, man lerne dabei doch, bewusster einzukaufen. Jedenfalls sei es gar nicht so schlimm gewesen. Als sie mir das erzählte, fragte ich mich, warum ich Einkaufen immer als so anstrengend und lästig empfand. Ob ich vielleicht einfach nur schlecht organisiert war? Ob ich womöglich sogar mehr Geld ausgab als sie? Ich zwang mich, genau darauf zu achten, was sie kochte und was sie wegwarf. Das rechnerische Ergebnis beruhigte mich: unmöglich, dass sie insgesamt weniger Geld ausgab als ich.
Als ich später einmal in Philines eigene Wohnung eingeladen war, wurde mir klar, dass sie sich bestimmt nicht vorstellen konnte, wie sich ein Leben in ständiger Geldknappheit wirklich anfühlte. Ihre Kleidung und ihre Schuhe spielten in einer ganz anderen Liga als meine. Die Wohnungseinrichtung war farblich und geschmacklich sorgfältig aufeinander abgestimmt, alte Holzmöbel aus ihrer Kindheit in Augsburg hatte sie nach Berlin geschafft, die Wandfarben passend dazu ausgesucht; teure Parfüms standen auf ihrem Nachttisch (»ein Geschenk«, na klar), Vorhänge aus schönen Stoffen hingen vor den Fenstern. Die Kücheneinrichtung war vom feinsten und obendrauf die üblichen »Berlin-Schnäppchen«, irgendwelche coolen aussortierten Gegenstände, ausgediente Kinosessel, die man im Prenzlauer Berg mitunter auf der Straße findet und
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