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Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)

Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)

Titel: Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Undine Zimmer
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bis zum letzten Semester durchgerechnet. Aber nachdem ich ein Fach gewechselt hatte, war ich im Zeitverzug. Am Anfang dachte ich, ich schaffe es trotzdem. Aber nach ein paar weiteren ambitionierten Semestern, Studentenjobs und unbezahlten Praktika war da nur noch die Hoffnung, meine Schulden nach dem Abschluss mit einem guten Verdienst möglichst schnell begleichen zu können.
    Auch mein Auslandssemester hätte ich nicht ohne die Unterstützung eines Freundes überstanden. Ich hatte meinen Erasmus-Aufenthalt verlängert, war von Schweden nach Dänemark weitergezogen, musste dort schon die teure Miete zahlen und hatte fast nichts mehr zu essen, als das BAföG-Amt sich immer noch Zeit ließ, meinen Verlängerungsantrag zu bearbeiten. Die dänische Bürokratie ist mindestens so unerbittlich wie die deutsche und die Dame am Tresen des Studentenwerkes in Århus hatte kein großes Verständnis für meine Probleme. Eine Lehrerin wandte sich ein bisschen peinlich berührt von mir ab, als ich ihr sagte, dass ich im Moment noch kein Fahrrad kaufen könne, ohne das ich die Strecke vom Wohnheim zur Uni allerdings kaum zurücklegen konnte. In einer solchen Situation Geld leihen zu müssen ist schlecht für Freundschaften. Der Freund, der mir aus der Klemme half, war der Einzige mit einem festen Gehalt, den ich kannte. Der richtige Auftakt für ein Auslandssemester mit Freiheitsgefühl war das nicht gerade.
    Während die anderen Austauschstudenten die Gelegenheit nutzten, sich das Land anzugucken, die Stadt zu genießen, saß ich viel zu Hause, las mich durch die dänische Literaturgeschichte, zählte die Kronen und erlaubte mir nur das Notwendigste. Ich habe mich aber auch selten so auf das Studium konzentriert und so viel Literatur konsumiert, weil der Unterricht anders und besser organisiert war als in Deutschland. Außerdem konnte ich sowohl in Schweden als auch in Dänemark in der jeweiligen Landessprache studieren, inhaltlich ein großer Vorteil.
    Wieder in Berlin, hielt ich mich an ausländische Studenten – ich habe ihre Arbeiten redigiert, mit ihnen Referate vorbereitet und Berlin entdeckt. Sie hatten, anders als die meisten anderen Studenten, ein Interesse daran, Leute kennenzulernen. Fast alle meine Kommilitonen waren fest in irgendwelche Gruppen eingebunden und überwiegend mit sich selbst beschäftigt. Ich habe viel von Studenten profitiert, die auf den ersten Blick vielleicht nicht »Erfolg versprechend« und wie Prestigegaranten aussahen. Aber es waren eindrucksvolle Menschen, mit sozialen Kompetenzen, hohem Anspruch an sich und ihre Arbeit. Und manchmal sind aus den Kontakten richtige Freundschaften entstanden.
    Finanziell lebte ich seit Beginn meines Studiums mit neunundachtzig bis hundertfünfundzwanzig Euro im Durchschnitt für das, was ich zum Essen brauchte. Das war regelmäßig der kleinste Posten in meiner Monatsrechnung. Der größte Teil meines Geldes ging neben den Kosten für Miete, Strom und Internet entweder für einen Besuch im Kino oder Theater drauf, mal für ein T-Shirt oder einen Hygiene- und Kosmetikartikel oder für Bücher. In Cafés und Restaurants habe ich mich erst später getraut. Ich hatte regelmäßig ein- bis zweihundert Euro minus, die ich dann im Laufe der Monate bei mir selbst abbezahlte. Wie meine Mutter bekam auch ich mein Konto binnen kurzer Zeit immer wieder auf null – bis das nächste Loch entstand, sei es durch ein spezielles teures Buch, das ich brauchte, durch die Kosten für die Heimreise nach dem Auslandssemester, durch Neuanschaffungen, die nach einem Umzug erforderlich wurden, durch meine Heuschnupfenmedizin, die Pille, eine kaputte Brille oder einen Besuch beim Friseur. Und dann waren auch schon wieder die Semestergebühren fällig. Die Liste der Möglichkeiten war einfach endlos.
    *
    Irgendwann war meine BAföG-Zeit abgelaufen, ich stellte einen Antrag auf Verlängerung, weil man sich bestimmte Aktivitäten neben dem Studium anrechnen lassen kann. Zum Beispiel die Mitarbeit in der Fachschaft. Ich hatte seit meinem ersten Studienjahr in die studentische Zeitschrift »norrøna – Zeitschrift für Geschichte, Politik und Kultur der nordischen Länder« viel Zeit investiert und war die letzten Jahre die Chefredakteurin des zweimal jährlich erscheinenden Blattes gewesen. Weil es aber kein Institutsblatt war, worauf wir Studenten sehr stolz waren, wurde es vom BAföG-Amt nicht als relevante Aktivität anerkannt. In meiner Studienordnung waren auch keine Pflichtpraktika

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