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Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)

Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)

Titel: Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Undine Zimmer
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misslungenen Stockfisch vom letzten Jahr nicht vergessen. Ich finde seine Antwort ziemlich entmutigend. Wenn ich einmal einen Fehler mache, verfolgt mich immer gleich der Verdacht, dass ich eine schlechte Köchin oder Planerin bin. Ich halte mich aber sowohl für eine gute Köchin wie für eine gute Planerin. Ich experimentiere aber gern. Und dabei geht eben auch einmal etwas schief. Das müsste doch gerade mein Vater verstehen und großmütig sein, denke ich. Aber nein, was einmal misslingt, wird einem immer wieder aufgetischt und nie vergessen. So läuft es doch fast immer. Überall.
    *
    Prüfungssituationen. Ich stehe vor dem Büro meines Germanistikprofessors. Wir wollen über meine Prüfungsthemen sprechen. Der Herr Professor veranstaltet das Magisterkolloquium und sagt jede Woche zu seinen Studenten: »Den Stress, den Sie jetzt in der Prüfungsphase haben, wird niemand nachvollziehen können.« Er muss der verständnisvollste Professor der Uni sein. Meine Zwischenprüfung bei ihm war eine der wenigen Prüfungen, die mir in meinem Leben Spaß gemacht haben. »Kommen Sie wieder, wenn Sie den Magister machen«, hatte er damals zu mir gesagt. Deswegen stehe ich jetzt vor seiner Tür. Aber heute blickt er nicht vom Schreibtisch auf, als ich verlegen auf das Zeichen warte, dass ich eintreten darf. Mein Professor ist genervt. Er schreibt gerade an einer Empfehlung für »einen von Ihnen«, als ob wir Studenten identisch und austauschbar wären. Ich habe doch mit diesem anderen Studenten nichts zu tun.
    Mein Professor fragt pampig weiter: »Wieso können Sie denn nie zu den Zeiten meiner Sprechstunde kommen?« Ich hatte ihn um den Extratermin gebeten.
    »Weil ich arbeiten muss«, antworte ich.
    »Soso«, sagt er. »Wir haben damals natürlich nur von Wissen und Luft gelebt.«
    Ich bin erstaunt. Nach einer Sekunde inneren Taumelns rutscht mir eine Gegenattacke heraus: »Sie wurden doch bestimmt von Ihren Eltern unterstützt.« Er guckt überrascht.
    »Wie bitte? Na ja, ein kleines Begabtenstipendium«, räumt er ein. Dann etwas neugieriger. »Wo arbeiten Sie denn?«
    »Im Kino.«
    »Im Kino! Wissen Sie, wie lange ich nicht mehr dort war! Nicht mal im Urlaub schaffe ich es ins Kino.« Es klingt vorwurfsvoll, als ob ich dort fürs Filmegucken bezahlt werde, nicht dafür, dass ich mir an ausverkauften Tagen 900-mal den gleichen Satz anhören und 900-mal »Das macht sieben Euro fünfzig, bitte« antworten muss. Ich werfe ihm doch auch nicht vor, dass er in seiner Arbeitszeit Bücher lesen darf. Ich bin eigentlich da, um über meine Prüfungsthemen zu sprechen.
    »Soso«, sagt er wieder. »Sie sind also eine der wenigen, die sich ihr Studium selber finanzieren. Was machen Ihre Eltern denn?«
    Jetzt habe ich ein komisches Gefühl, bin gestresst, weil ich weiß, dass ich in seinem Zeitplan nur wenige Minuten Besprechungszeit habe. Weil mir irgendetwas falsch an der Situation vorkommt. Meine Familie und unsere finanzielle Situation sind doch keine Smalltalk-Themen.
    Er hört sich kurz meine Vorschläge für die Prüfungsthemen an, wir einigen uns. Ich hätte eigentlich noch Fragen, ich bin nicht sicher, ob ich ihn in allen Punkten richtig verstanden habe. Er wird immer unruhiger. Die Zeit drängt und mein Kopf ist leer. Ich kann meine Fragen so schnell nicht formulieren und er kann mir nicht mehr Zeit zum Nachdenken geben.
    »Dann grüßen Sie Ihre Eltern«, sagt er zum Abschied. Ich kann mich nicht darüber freuen. Ich fühle, dass ich mich wacker geschlagen habe. Dass es richtig war, seine blöden Bemerkungen nicht einfach hinunterzuschlucken.
    Aber kaum bin ich aus der Tür, muss ich mich erst einmal setzen, irgendwo. Muss ich jetzt bei jedem vorbereitenden Prüfungsgespräch um meine Identität kämpfen? Meine Hände zittern stark, und für einige Minuten muss ich mich auf der Toilette einschließen, mir sind die Tränen gekommen. »Ihren Stress kann niemand verstehen«, hallt es in meinem Kopf. Sicher hat er keine Ahnung, welche Wirkung sein kleiner Unmut auf mich hat. Vielleicht ist er überarbeitet. Aber er hat mich getroffen. Mir fallen hundert Sätze ein, die ich dem Professor noch hätte sagen können: Sie beschweren sich, dass Sie im Urlaub nicht ins Kino gehen könnten? Ich habe nicht einmal Urlaub, geschweige denn bezahlten. Ich hab auch kein Krankengeld und keine Rentenversicherung, nur Stundenlohn. Und wenn ich dieses Studium mit Ihrer Hilfe abgeschlossen habe, warten auf mich nur Schulden und keine

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