Nicht warten - starten
oder von Rechts wegen entmündigt und unter Vormundschaft gestellt wird – eigentlich immer frei über sein Handeln bestimmen, egal wie selbstzerstörerisch, gefährlich oder schlicht dumm das auch erscheinen mag. Selbst unsere Kinder sind zumindest in gewissem Maße frei zu tun, was ihnen beliebt. Schließlich können wir sie nicht ununterbrochen im Auge behalten. Es ist in unserem eigenen Interesse, uns wann immer möglich herauszuhalten und andere selbst die Konsequenzen ihres Handelns tragen zu lassen. Je mehr sie das tun, umso motivierter sind sie, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen.
Sie können diesen Prozess unterstützen, wenn Sie Ihre Aufgabe eher darin sehen, dem anderen zu helfen, eine möglichst fundierte Entscheidung zu treffen, statt darin, ihn zu einer bestimmten Entscheidung zu bewegen. Aus diesem Grund empfehle ich auch, mögliche Konsequenzen in einem separaten Gespräch anzusprechen – und selbst dann ist es besser, das Gespräch nicht mit Ihrer Darstellung der Konsequenzen zu eröffnen. Sie sollten den anderen vielmehr dazu bringen, sich der möglichen Konsequenzen selbst bewusst zu werden, beispielsweise mit einer der folgenden Fragen:
»Lassen Sie uns die Situation doch einmal durchdenken. Was wird Ihrer Meinung nach passieren, wenn Sie weiterhin zu spät zur Arbeit kommen?«
»Ich bin gespannt darauf, deine Meinung zu hören. Was könnten diese Noten für deine Pläne bedeuten, auf die Universität zu gehen?«
»Was meinst du, was es für unsere Beziehung bedeutet, wenn du die ganze Zeit Pläne für uns beide machst, ohne mich vorher zu fragen?«
Das Ziel dabei ist, den anderen dazu zu bringen, die Konsequenzen seines Handelns zu erkennen und auf dieser Grundlage eine eigenständige Entscheidung zu treffen, statt einfach dem Gesetz der psychologischen Reaktanz zu folgen. Eigenständige Entscheidungen zu treffen setzt aber echte Autonomie voraus.
Einer der interessantesten psychologischen Forschungsbereiche befasst sich mit der intrinsischen und extrinsischen Motivation, untersucht also die Frage, ob es einen Unterschied macht, etwas aus eigenem Antrieb heraus zu tun oder aufgrund eines äußeren Anreizes, zum Beispiel einer Belohnung. Die Ergebnisse sind eindeutig: Die intrinsische Motivation ist weitaus effektiver. Erstaunlicherweise tun Menschen manchmal sogar weniger, wenn ihnen für eine Tätigkeit, die sie bereits ausführen, eine Belohnung angeboten wird. 4
Der Psychologe Edward L. Deci führte dazu ein Experiment mit 24 Psychologiestudenten durch. Sie sollten an drei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils für ein paar Stunden an einem Puzzle arbeiten. 5 Man ging davon aus, dass das Puzzle intrinsisch motivierend wirkte, weil die Einzelteile auf unterschiedliche Weise zusammengesetzt werden konnten und die Studenten so die Möglichkeit hatten, immer neue Lösungen zu finden. In der Tat machte die Arbeit an dem Puzzle allen Studenten Spaß und manche opferten sogar die achtminütige Pause in der Mitte der zweistündigen Sitzung, um daran weiterzuarbeiten.
Am zweiten Tag wurde der einen Hälfte der Studenten mitgeteilt, dass sie eine Belohnung erhalten würden: Für jede vonmaximal vier unterschiedlichen Puzzlelösungen, die sie innerhalb einer festgesetzten Zeit fanden, wurde ihnen ein Dollar versprochen, wobei es ihnen freistand, nach weiteren, dann allerdings nicht bezahlten Lösungen zu suchen. Die andere Hälfte der Studenten erhielt kein Geld.
Wahrscheinlich ahnen Sie schon, was als Nächstes passierte. Am zweiten Tag verbrachten die Studenten, die bezahlt wurden, weit weniger ihrer freien Zeit damit, an dem Puzzle weiterzuarbeiten, als sie das noch am ersten Tag getan hatten. Selbst als sie am dritten Tag kein Geld mehr erhielten, blieb ihr Aktivitätsniveau unter dem des ersten Tages. Die Studenten dagegen, die zu keinem Zeitpunkt Geld erhalten hatten, widmeten immer mehr ihrer freien Zeit dem Puzzle.
Dieser Zusammenhang wird von zahlreichen Untersuchungen aus der Wirtschaft bestätigt. Sie zeigen, dass Bonuszahlungen Mitarbeiter keineswegs dazu motivieren, sich stärker zu engagieren. Vielmehr scheinen sie unethische Verhaltensweisen wie Tricksereien und andere Methoden zu fördern, mit denen die Boni abkassiert werden sollen, ohne dass dafür tatsächlich eine Mehrleistung erbracht wurde. 6
Damit will ich nicht sagen, dass externe Anreize prinzipiell nicht hilfreich wären – im Gegenteil, in vielen Situationen sind sie das
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