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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Altstadt unversehens über den erschossenen Jonas stolpern würde. Doch er wusste, dass sie zum KK 11 gehört, und war entschlossen, sie in die Ermittlungen reinzuziehen. Deshalb hat er ihr schon das erste Foto geschickt, bevor er Jonas ermordete. Weil er ganz unbedingt ihre Aufmerksamkeit will. Weil sie ihn an seine Verlobte erinnert oder warum auch immer. Und deshalb verheißt es nichts Gutes, wenn er jetzt ein Foto von der Ägäis schickt.
    Manni legt das Tipp-Ex zurück an seinen Platz und atmet scharf aus. Es wird Spuren auf dieser Flasche geben. Oder auf dem Kohlepapier. Oder anderswo in dieser Schublade. Spuren, die sicher längst registriert sind. Registriert und dann abgehakt, nicht als Täterspuren bewertet.
    Er wählt Millstätts Nummer. Sie müssen handeln. Personalakten durchsehen. Die Kollegen auf Samos einschalten. Schnell, sehr schnell.
    Rudi, der kleine Rudi. Die M417. Er war die ganze Zeit da, ganz nah, sie haben ihn nur nicht gesehen. Weil er einer von ihnen ist. Ein Kollege.
    ***
    Enge. Hitze. Dunkelheit. Irgendwo brummt etwas, ein Motor vielleicht. Sie öffnet die Augen, mühsam, die Schwärze bleibt, nur ein winziger Lichtschlitz zittert in unerreichbarer Ferne, vielleicht ist das aber auch eine Halluzination. Sie schließt die Augen wieder, merkt, dass sie wegdriftet, abdriftet, das Bewusstsein verliert. Bewegung bringt sie wieder zu sich, ein Schaukeln und Vibrieren, das Brummen wird lauter, etwas poltert unter ihr. Schlecht, ihr ist schlecht, und ihr Kopf tut weh, hämmert und dröhnt, und das Brummen soll aufhören, dieses Vibrieren, das jetzt in ihren Körper kriecht und sich in ihr ausbreitet, bis es sie völlig erfasst hat und schüttelt. Sie versucht sich dagegenzustemmen, sie will sich aufrichten, schafft es aber nicht, sie kann weder Arme noch Beine bewegen. Das Vibrieren wird zum Schaukeln, zum Ruckeln, etwas schlägt unter ihr an den Boden. Ein Stein, weiß sie plötzlich und begreift, dass sie in Embryohaltung im Kofferraum eines Autos liegt, und das Auto fährt, fährt sie irgendwohin, und sie ist gefesselt und hat keine Kontrolle, keine Orientierung, kein Zeitgefühl. Sie hat alles verloren und weiß nicht, wie.
    Benzingeruch ist das Nächste, was sie wahrnimmt, und das bringt die Panik zurück, die Erinnerung an den Januar, an das Gäste-WC und den Wahnsinnigen mit dem Kanister und die endlosen Minuten, in denen sie sicher war, gleich zu verbrennen. Sie bäumt sich auf, knallt mit dem Kopf gegen Metall, sackt wieder auf den schaukelnden Boden. Ihr Schrei erstickt in ihrer Kehle, erstickt in Stoff, Stoff in ihrem Mund. Wer auch immer er ist, er hat sie geknebelt, und sie darf sich um Himmels willen nicht erbrechen, denn dann wird sie ersticken.
    Judith zwingt sich zu atmen, ein und aus, langsam, bewusst, zwingt sich, die Panik zurückzudrängen. Ihre Nase ist frei, sie wird nicht ersticken, und das Benzin ist im Auto, Autos riechen nach Benzin und nach Gummi, vielleicht liegt ein alter Kanister in diesem Kofferraum, aber das heißt noch längst nicht, dass sie gleich verbrennen wird, dass das das Ende dieser Reise ist, aber was ist dann das Ende, was ist das Ziel?
    Das Schaukeln verstärkt sich, das Brummen wird lauter, Steine prasseln. Eine Bodenwelle, vielleicht auch ein Schlagloch wirft ihren Körper hoch und lässt ihn hart wieder aufprallen. Der Motor heult auf, das Fahrttempo scheint sich zu verlangsamen. Kurven folgen, Geruckel, eine Steigung, die sie rutschen lässt und ihre Knie an Metall presst. Vielleicht haben sie eine Hauptstraße verlassen und fahren nun auf Wegen, die nicht mal geteert sind. Wieder macht der Wagen einen Satz in ein Schlagloch, aber jetzt ist sie gewappnet und schafft es rechtzeitig, die Halsmuskeln anzuspannen, um ihren Kopf vor dem nächsten Aufprall zu schützen. Sie muss wach bleiben, sie darf das Bewusstsein nicht wieder verlieren, sie muss zumindest versuchen zu verstehen, was mit ihr geschieht.
    Schaukeln. Hitze. Dunkelheit. Sie weiß nicht, wie lange, dann dringt ein neuer Geruch in ihre Nase. Zigarettenrauch. Ein Duft, der so lange Heimat für sie war. Sie stand in ihrer Küche, plötzlich weiß sie das wieder. Sie hat eine Zigarette gedreht und dann doch nicht geraucht, sie hat ihre letzte Tabakreserve in den Müll gepfeffert und ist über die Autobahn zum Flughafen gefahren. Nacht, es war Nacht, und dann ist sie nach Samos geflogen. Sie hat sich frei gefühlt, alles war gut.
    Samos, Samos. Judith starrt auf den winzigen Lichtschlitz, der

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