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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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zusammen, Mann, Jonas ist nicht du. Ja, klar, Jonas hat sich am Abend der Bluttat mit seinem Vater gestritten, hatte sich lange davor mit ihm überworfen, weil er nicht in dessen Lebensplan passte, dieses Klein-Klein in Eiche rustikal hinter vorgezogenen Gardinen. Doch Jonas hatte die Konsequenzen gezogen, schon mit 17, noch vor dem Abitur war er ausgezogen, um sein eigenes Ding zu machen. Er war also raus, er hatte Distanz. Das spricht gegen ihn als Täter. Und nur mal angenommen, dass er es doch gewesen war – wieso hätte er den Tatort jahrelang konservieren sollen, statt ihn durch den Verkauf des Hauses zu vernichten? Das ergibt keinen Sinn. Bleiben also Vater oder Tochter. Es sei denn, es gibt in der Biografie dieser Familie noch einen Abgrund, den sie nicht kennen.
    Kurz vor Nettersheim bremst er ab und verlässt die Autobahn, und schon bald hat er das Gefühl, sehr weit weg von Köln zu sein. Wald und Wiesen wechseln sich ab. Die Sonne steigt sehr schnell höher, gleißt auf Asphalt und Motorhaube und im sattgrünen Laub der Bäume. Die Straße wird enger, windet sich in ein Tal. Kurz darauf passiert er einen Bachlauf, dann ein paar Häuser, die abweisend wirken, zu eng, zu geduckt. Nach einem weiteren Kilometer führt ihn der Navi auf eine winzige Nebenstraße und dann endgültig in die Pampa. Die letzten hundert Meter holpert er über eine Teerbuckelpiste zwischen Alleebäumen dahin, deren Kronen den Wagen in Schatten hüllen. Linden sind das, vielleicht, wirklich sicher ist er nicht, für Botanik hat er sich nie interessiert. Er erreicht eine Anhöhe und bremst ab, geblendet von der Sonne, die ihm hier in die Augen sticht. Er stellt den Motor ab und steigt aus. Vögel piepen, in den Bäumen summen Insekten, irgendwo kläfft ein Hund, etwas gluckert, vermutlich ein Bach. Rechts ist eine Scheune, die verwahrlost aussieht, lange verlassen, geradeaus steht der gigantische Laubbaum, den er vom Foto kennt. Doch das Heim ist nicht da. Steht nicht dort, wo es sein sollte. Manni läuft zu dem Baum, erkennt im Gestrüpp daneben die Grundmauern eines Gebäudes, Backsteinreste, verkohltes Gebälk.
    »Das war mal ein Kinderheim«, sagt eine Männerstimme. »Frohsinn hieß das.«
    Manni zuckt zusammen. Er hat den Mann nicht kommen gehört. Er richtet sich auf, dreht sich herum und mustert ihn. Ein Spaziergänger in olivgrüner Outdoor-Kleidung, ein Jagdhund hechelt an seiner Seite.
    »Das Heim wurde geschlossen, dann ist es abgebrannt.«
    »Wann war das? Wann ist es abgebrannt?«
    »Irgendwann Anfang der 80er.«
    ***
    55 Tage ohne Zigarette. Es fühlt sich falsch an, ganz falsch, gerade jetzt in diesem Moment. Ein Abschied ohne Abschiedszigarette. Judith schüttet den Rest ihres Kaffees ins Spülbecken, schultert den Rucksack und schließt ihre Wohnung ab. Gleich nach dem Weckerklingeln hat Millstätt sie angerufen. Du wirst Lea Wenzel auf Samos vernehmen, Judith, dein Flug geht am Mittag. Samos. Griechenland. Unwirklich ist das, unwirklich wie dieser ganze Fall. Eine Reise ans Meer mitten in einer komplexen Ermittlung. Sie wird nicht viel Zeit haben dort, ihr Rucksack ist leicht, er wird als Handgepäck durchgehen, genau wie der, den Jonas Vollenweider auf seiner letzten Reise bei sich trug. Ein schwarzer Nylonrucksack, das haben Regina Sädlich und der Makler übereinstimmend ausgesagt. Doch der Rucksack bleibt verschwunden, und Jonas Vollenweiders Handy, dessen Nummer sie nun kennen, ist nicht zu orten. Der Täter muss es vernichtet haben, sobald er Jonas getötet hat. Weil er schlau ist und nichts dem Zufall überlässt. Weil er die Fäden dieses perfiden Katz-und-Maus-Spiels, zu dem sich dieser Fall mehr und mehr entwickelt, in der Hand behalten will.
    Im Präsidium schaltet Judith ihren Computer an und versucht, den Geruch nach kaltem Rauch, der noch immer aus jeder Ritze ihres winzigen Büros kriecht, zu ignorieren. Sie ruft die Website von Jonas Vollenweider auf, klickt durch die Bildergalerie und die Karte der Insel. Olivenhaine, Berge, Fischerboote, weiß getünchte Häuser, Kirchlein mit hellblauen Kuppeldächern, das Meer. Sie verharrt bei dem Strandfoto, auf dem Jonas und Lea Wenzel Arm in Arm in die Kamera lächeln. Was weiß diese glückliche, braun gebrannte Frau in den knappen Shorts von der Vergangenheit ihres Geliebten? Was wird sie ihrem ungeborenen Kind eines Tages über ihn erzählen? Dein Vater wurde getötet, bevor du auf die Welt kamst. Dein Vater war selbst ein Mörder, vor langer Zeit hat er

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