Nichts als Erlösung
terrorisieren. Irgendwo links schlägt ein Suchhund an und verstummt wieder.
»Falscher Alarm«, brüllt der Hundeführer rüber.
Manni schippt sich eine Ladung Autan in den Nacken und wirft die Flasche der Krieger zu, die blass und verbissen ein paar Meter neben ihm durchs Unterholz pflügt. Sie suchen. Laufen durch den Steiner Wald und suchen. Zuerst haben sie gedacht, dass die Fotos am Waldrand aufgenommen worden sind, aber das war offenbar falsch, also dringen sie jetzt in die Tiefen des Auenwalds vor. Suchen, hoffen, denn viel anderes bleibt ihnen im Augenblick nicht übrig. Er erkenne die Stelle noch immer nicht, hat Sievert geschworen. Und Kurt Böhm, den sie dringend, gleich als Erstes an diesem Tag vernehmen wollten, war nicht da. Er hole die Oma in Karlsruhe ab, also ihre Mutter, hat seine Ehefrau gesagt, erst um 13 Uhr sei er wieder zu Hause, und vielleicht ist das wahr, und vielleicht kann Marion Böhm sich auch einfach nicht vorstellen, dass ihr Mann in diesem Augenblick Spuren eines Verbrechens vernichtet, einen weiteren Mord plant oder auf und davon ist, über alle Berge.
Noch ein Schritt. Und noch ein Schritt. Die Fotos angucken. Vergleichen. Bücken. Weitergehen. Das Foto, das der Lover der Krieger am Morgen aus ihrem Briefkasten gezogen hat, ergänzt die Sumpfwiese der ersten beiden Bilder um einen charakteristischen Baumstumpf mit Mooshaube und knotigen Wurzeln und um einen umgeknickten Ast. Es kann nicht so schwer sein, diese Stelle zu finden, haben sie gedacht, aber es ist höllisch schwer, wenn nicht gar unmöglich. Man sieht vor lauter Wald die Bäume nicht, inzwischen begreift er, wie dieses Sprichwort entstanden sein muss. Aber irgendwo hier in diesem Scheißdschungel muss der Baumstumpf sein, und sie müssen ihn finden, den Baumstumpf und das, was sich in seiner Nähe verbirgt. Ein weiterer Tatort. Ein weiteres Grab. Oder sie haben in diesem Wald schon alles aufgespürt, was es zu finden gab, und die Fotos sind gar nicht hier aufgenommen worden oder nur eine grandiose Verarschung, eine Falle, in die sie bereitwillig tappen.
Aber der Täter war hier. Nicht nur vor 20 Jahren, auch vor wenigen Tagen. Das Projektil von der Lichtung stammt eindeutig aus derselben Waffe, mit der Jonas Vollenweider erschossen wurde, hat die Kriminaltechnik bestätigt, und das lässt nur eine vernünftige Schlussfolgerung zu: Jonas’ Mörder hat am Grab von Jonas’ Eltern auf Eric Sievert geschossen. Der Mörder oder die Mörderin?
»Wir müssen uns noch mal das Haus in Hürth vornehmen und vor allem Miriams Zimmer«, sagt die Krieger, als hätte er seine Gedanken laut ausgesprochen.
Unter seinem Fuß zersplittert ein Ast. Wieder kläfft einer der Hunde los und verstummt sofort wieder. Manni schlägt nach einer Mücke, die irgendwo unsichtbar an seinem rechten Ohr herumsirrt. »Das Haus haben wir doch schon zigmal durchsucht.«
»Trotzdem«, sagt Judith Krieger und hat wieder diesen Tunnelblick.
Er grinst, merkt auf einmal, dass ihn ihre Sturheit nicht mehr nervt. Letzte Nacht haben sie das nun schon beinahe zwei Jahre andauernde Projekt Teambildung um eine neue Facette bereichert. Zum ersten Mal haben sie sich zusammen so richtig die Kante gegeben. Ein Besäufnis mit teuren Weinen auf einer Dachterrasse inmitten der glitzernden Banktürme Frankfurts, und die Krieger kann witzig sein, witzig und selbstironisch, das war ihm bis dahin völlig entgangen. Sie hat ihm sogar ein paar Anekdoten aus ihrer Jugend erzählt, wie sie gegen die Startbahn West und Atomkraftwerke demonstriert hat, gegen die Amerikaner und natürlich für den Frieden.
Sie erwidert sein Grinsen, wird dann gleich wieder ernst, lehnt sich an einen Baumstamm und versucht ein weiteres Mal, Lea Wenzel auf Samos zu erreichen.
Er hätte ihr von dem Kind erzählen können, von der Wohnung. Von Sonja. Er hätte das tun sollen. Hätte und hat nicht. Ich werde Vater. Drei Worte nur, drei kleine Worte, die alles verändern.
Die Krieger bekommt nun offenbar endlich ihre lang ersehnte Verbindung.
»Frau Wenzel, hallo«, sagt sie, hebt den Daumen und fängt nach kurzem Höflichkeitsvorspiel an, ihre Fragen herunterzurattern.
»Die hatten einen Stromausfall auf der Insel, von dem auch die Mobilfunk-Sendemasten betroffen waren, deshalb hab ich Lea stundenlang nicht erreicht«, erklärt sie ihm, als sie das Gespräch beendet hat.
»Und ist Lea noch irgendwas Sinnvolles zu diesem Miriam-Freund eingefallen?«
»Miriam könnte ihn an der Uni
Weitere Kostenlose Bücher