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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Vollenweiders gesagt, und auch das hat vielleicht mit Scham zu tun, mit Schande. Oder dreht sie jetzt durch, projiziert ihre eigenen Familiendramen auf diesen Fall?
    »Wo kam der Brief her?«, fragt sie, als Schneider sich endlich meldet.
    »Das versuchen wir gerade zu klären, denn er war nicht frankiert und die Kollegen am Empfang wissen von nichts.« Sie hört seine Schritte durchs Telefon, seinen Atem, gedämpftes Gemurmel. »Ich melde mich wieder, sobald ich was weiß.«
    Sie legt auf, starrt in Mannis himmelblaue Augen. Der Täter reagiert auf die Ermittlungen, beobachtet sie. Er findet sogar einen Weg ins Präsidium. Wer geht so ein Risiko ein, wer ist so verrückt?
    »Die sollen auch zu deiner Wohnung fahren«, sagt Manni.
    Ihr Briefkasten zu Hause, vielleicht liegt auch dort ein Umschlag für sie, das Puzzleteil, das zu den anderen Waldfotos passt. Das Foto, das sie eigentlich vor dem letzten hätte erhalten sollen. Sie ruft Karl an, holt ihn aus dem Tiefschlaf. Bittet ihn nachzusehen, bittet ihn, Handschuhe anzuziehen und den Briefumschlag zu öffnen, vorsichtig, mit einem Messer, und ihn dabei so wenig wie möglich zu berühren.
    Wieder hört sie Atem, Schritte, Rascheln. »Da ist Gras drauf, Geäst und etwas, das wie ein Baumstamm aussieht«, sagt Karl schließlich. »Kein Absender. Kein Poststempel. Gar nichts.«
    »Kannst du das Foto scannen und mir aufs Handy schicken?«
    Sie weiß, dass dieses Foto zu den anderen beiden Waldfotos passt, es muss einfach so sein. Urgent, so urgent. Foreigner brüllen los, sobald sie den Mondeo starten und aus der Tiefgarage fahren. Die CD vom Vorabend. Judith schlägt mit der Hand auf den Ausschaltknopf der Musikanlage. Manni lenkt den Wagen in den Berufsverkehr, klemmt sein Handy in die Freisprechhaltung, bittet die hessischen Kollegen um Verstärkung, vereinbart als Treffpunkt die Lichtung von gestern.
    Sie passieren Autos, Passanten, Fassaden, erreichen eine Ausfallstraße, dann nach sich endlos anfühlenden zehn Minuten die Autobahn. Sie müssen die Stelle von den Fotos finden. Etwas ist dort. Etwas oder jemand. Ein weiterer Tatort. Ein weiteres Grab. Das Flughafen-Autobahnkreuz taucht vor ihnen auf, ein Passagierjet im Sinkflug kreuzt die Autobahn, zum Greifen nah, und verschwindet hinter struppigen, windschiefen Kiefern, die Judith an ihre Traumlandschaft erinnern, die Heimat des Schimmels, der neuerdings flieht.
    Mannis Handy fiept los, und ein Rechtsmediziner namens Dr. Wu erläutert auf Hessisch, dass die Schädel und Rippen und Unterarme von Hans und Johanna Vollenweider multiple Verletzungen aufweisen, die darauf schließen lassen, dass beide mit einer Axt erschlagen wurden, und für einen Augenblick erscheint das Grauen, das sich in dem Wohnhaus in Hürth abspielte, zum Greifen nah, glaubt sie das Splittern der Knochen zu hören, das Schreien und Stöhnen, das Krachen der Axt, die ins Kopfteil des Bettes fährt, weil die Opfer sich zur Seite warfen, die Axtschläge mit den Armen abzuwehren versuchten, blind vor Panik und voller Entsetzen.
    »Er wird erst Hans Vollenweider erschlagen haben«, sagt Manni.
    Judith nickt. Den Stärksten zuerst, den, von dem am meisten Gegenwehr zu erwarten ist, natürlich, ja. Hat es lange gedauert, oder ging es zumindest schnell? Wie lange dauern Sekunden, wenn man ansehen muss, wie der eigene Mann neben einem erschlagen wird wie ein räudiger Köter? Was fühlt man, wenn man begreift, dass man selbst gleich genauso sterben wird? Kann man das überhaupt begreifen? Und was ist mit Miriam geschehen, der Tochter? Es erscheint unvorstellbar, dass sie das gewollt hat, geplant hat, vielleicht sogar an diesem Blutrausch aktiv beteiligt war, und doch ist es möglich.
    »Glaubst du, es gibt diesen Freund, von dem Lea Wenzel dir erzählt hat?«, fragt Manni, der also mit seinen Gedanken an demselben Punkt angekommen ist wie sie. »Einen reichen Typen, der ihr wertvollen Schmuck schenkt und älter ist und von dem niemand etwas wusste?«
    »Jonas wusste von ihm, sonst hätte er Lea ja nicht von ihm erzählen können.«
    »Du glaubst ihr also.«
    Judith nickt und denkt an das Foto von Jonas und Miriam in Leas Haus. Wie nah sich die beiden Geschwister darauf waren, wie glücklich sie aussahen und zuversichtlich, bereit, die Welt für sich zu erobern. Vielleicht hat Jonas all die Jahre gewusst, dass Miriam und ihr geheimer Freund die Eltern getötet haben. Vielleicht hat er sie gedeckt, das sogar gebilligt oder unterstützt und deshalb

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