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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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kennengelernt haben, das hält Lea für das Wahrscheinlichste.«
    »Die Uni, na toll. Wie viele zehntausend Leute haben dort 1986 studiert?«
    Die Krieger zuckt die Schultern. »Einen Versuch ist es wert, ich setz Meuser drauf an. Wenn Miriams Freund das Geld hatte, ihr Goldschmuck zu kaufen, war er vielleicht ein Dozent.«
    Ein Herr Psychologieprofessor für ein verschüchtertes Mädchen mit Vaterkomplex, ein Idealdaddy sozusagen, das könnte schon stimmen, denkt er, als sie wenig später zum zweiten Mal an diesem Tag nach Darmstadt-Eberstadt fahren, wo Kurt Böhm nun angeblich für sie zu sprechen ist.
    »Lass es mich gleich erst mal auf die sanfte Tour versuchen«, sagt die Krieger und kratzt einen Mückenstich auf ihrem Handrücken blutig.
    Manni nickt. Die sanfte Tour ist die Psychotour, die Spezialität von KHK Judith Krieger, und vielleicht wird es ja funktionieren, gestern war sie ja schon für ein paar Momente zu Böhm durchgedrungen, auch wenn das Ergebnis letztendlich nicht befriedigend war.
    Er schiebt sich die Sonnenbrille auf die Nase, jagt den Mondeo auf die Autobahn. Manchmal hat sein Vater ihn in seinem Zimmer eingesperrt. Eingesperrt und den Schlüssel in die Hosentasche gesteckt. Manchmal hatte ihn der Alte vorher auch noch verprügelt. Das Kinderzimmer lag im Obergeschoss. Unter dem Fenster führte eine Betontreppe in den Keller, deshalb traute er sich nicht zu springen. Später lernte er dann, sich zum Regenrohr rüberzuhangeln und zu klettern, aber da war er schon älter, 13 oder 14, und der Alte wagte es nur noch selten, ihn anzurühren. Der Geruch seiner Bettwäsche. Seines Teppichs. Die Legosteine, mit denen er sich Raumschiffe baute, die dann doch niemals flogen, egal, wie er sich mühte. Der Druck in seiner Blase, stärker werdend, immer stärker. Pinkeln müssen. Jetzt. Sofort. Es nicht länger aushalten können. Es doch aushalten müssen. Und auf der anderen Seite der Zimmertür seine Mutter. Unerreichbar. Verzweifelt. Machtlos wie er. Manfred, Manni, mein Junge, so sag doch was. Tut es sehr weh, geht es dir gut? Wenn ihr Schluchzen unerträglich wurde, hatte er sie getröstet. Nicht so schlimm, Mama, es tut schon nicht mehr weh. Aber in Wirklichkeit hatte er sie verachtet. Weil sie schwach war, weil sie ihn nicht retten konnte. Weil sie bei seinem Vater blieb.
    Deine Mutter hat mich angerufen. Deine Mutter hat Geld gespart. Die Erinnerung an Sonjas Worte treibt ihm das Blut ins Gesicht, unwillkürlich packt er das Lenkrad fester. Denn sie war da, wird ihm plötzlich bewusst. Seine Mutter war immerhin da und litt mit ihm, und sie bettelte um seinen Zimmerschlüssel, selbst wenn sein sauberer Alter ihr dann auch noch ein paar verpasste. Und sogar der zeigte hin und wieder einen Anflug von Reue und schwor, es nie wieder zu tun, nie, nie wieder, ich liebe euch doch, ihr seid doch meine Familie. Die Wonnen der Kindheit, Herrgott noch mal.
    Im Gegensatz zum Vortag haben die Böhms heute Full House. Die Oma aus Karlsruhe gibt es wirklich, sie sitzt mit Böhms Frau und zweien seiner Kinder auf der Terrasse bei Kartoffelsalat und Grillwurst und bedenkt die beiden Polizisten, die dieses Wochenendidyll trüben, indem sie ihren Schwiegersohn abführen, mit giftigen Blicken. Sie entschuldigen sich höflich und folgen Kurt Böhm durch den Flur in sein Arbeitszimmer. Er selbst wirkt heute nicht mehr ganz so feindselig. Gewappnet, denkt Manni, er hat damit gerechnet, uns wiederzusehen. In dem engen Heimbüro ist es heiß und stickig, durch das geöffnete Fenster weht nicht das mickrigste Lüftchen. Die Krieger angelt ein Haargummi aus der Hosentasche und verzwirbelt ihre wirre Mähne zu einer Art Pferdeschwanz. Böhm guckt ihr zu, offenbar fasziniert.
    »Wir haben gestern im Steiner Wald die Leichen Ihrer Heimeltern gefunden«, sagt sie, nachdem ihr Frisurproblem fürs Erste gelöst ist. »Hans und Johanna Vollenweider. Kaum 20 Kilometer von hier.«
    Böhm gibt einen Laut von sich, der wohl Überraschung ausdrücken soll.
    »Sie wurden mit einer Axt erschlagen. Ihr Mörder ist nachts in ihr Haus eingedrungen und hat sie im Schlaf überwältigt. Und dann hat er sie von Köln in den Steiner Wald gefahren und im Wald vergraben, wie räudige Hunde.«
    »Mein Gott.«
    »Sie haben damals schon hier in Darmstadt gelebt, Herr Böhm. Und Ihre erste Ehe war da gerade gescheitert.«
    »Aber deshalb habe ich doch niemanden umgebracht.«
    »Vielleicht fanden Sie ja, Ihre Heimeltern seien schuld an Ihrer

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