Nichts bleibt verborgen
aufbrach.
Sein Vater verstaute derweil seine Langlaufskier im Auto und freute sich schon wie ein Schneekönig über seine persönliche Eröffnung der diesjährigen Skisaison, die wie in jedem Jahr auf der Wintersportanlage am Holmenkollen stattfinden würde. »Und du willst wirklich nicht mitkommen, Alex?«
»Nein, nein, ich treff mich mit Freunden und geh vielleicht nachher noch ins Kino.«
Eigentlich hasste es Alexander, seinem Vater solch einen Bären aufzubinden, doch hier handelte es sich gewissermaßen um eine Notlüge. Es gab eben Momente, sagte er sich, in denen die Wahrheit äußerst ungelegen kam. Was etwas ganz anderes war als eine Lüge aus Überzeugung. Später einmal, wenn die Zeit reif sein würde, wollte er gern alles wahrheitsgetreu berichten.
Ein langes Hupen, ein kurzes Winken aus dem offenen Fahrerfenster, und schon rollte Hauptkommissar Ohlsen seinem eigenen Wellnesstag entgegen.
★ ★ ★
Etwa eine halbe Stunde später öffnete sich das breite Eingangstor der Granbergschen Villa, noch ehe Alexander Gelegenheit bekam, auf den Klingelknopf zu drücken. Magnus musste ihn bereits auf den Überwachungsmonitoren ins Visier genommen haben. Einmal mehr wunderte er sich darüber, dass sich der Gesichtsausdruck der steinernen Löwen der jeweiligen Situation anzupassen schien. Heute sahen die beiden Raubkatzen so aus, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Wir sehen nichts und hören nichts , schienen sie ihm mitzuteilen. Alexander warf ihnen einen verschwörerischen Blick zu, bevor er die inzwischen vertraute Natursteintreppe emporstieg.
»Komm rein!« Magnus winkte ihn hektisch über die Schwelle. Die Anspannung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Mit einem Anflug von Enttäuschung fragte sich Alexander, ob Elin vielleicht ebenfalls das Haus verlassen hatte, doch seine Sorge erwies sich als unbegründet.
»Elin weiß Bescheid«, sagte Magnus. »Die lässt uns in Ruhe arbeiten und passt auf, dass wir nicht doch von unerwünschtem Besuch überrascht werden.«
»Hast du ihr etwa erzählt, was wir vorhaben?«, fragte Alexander verwundert.
»Ich hab ihr nur gesagt, dass wir im Büro meines Vaters zu tun hätten und nicht gestört werden wollen. Keine Sorge, auf Elin ist hundertprozentig Verlass.«
Magnus führte Alexander in einen Trakt der Villa, der diesem völlig neu war. Schließlich gelangten sie in einen halbrunden Raum, dessen große, von schweren Vorhängen gesäumte Fensterfront zum Garten hinausging. In der Mitte stand ein wuchtiger Schreib tisch aus dunklem Holz. Vor den Wänden türmten sich Bücherregale und Aktenschränke. Alexander fühlte sich sofort ans Oval Office, das Büro des amerikani schen Präsidenten, erinnert. Nur die amerikanische Fahne fehlte. Allerdings sah dieses Büro nicht so aus, als würde in ihm gearbeitet werden. Die Schreibtischplatte war nichts als eine glattpolierte leere Fläche, auf der ein Flachbildschirm und eine Computertastatur ein einsames Dasein fristeten. Ansonsten wirkte hier alles so staub- und keimfrei wie im Rest des Hauses, von Magnus’ Zimmern einmal abgesehen. Auch war Alexander sofort aufgefallen, dass dieses Büro, im Gegensatz zu den anderen Räumen, völlig geruchsneutral war. Vermutlich, weil hier schon lange niemand mehr einen der patentierten Duftstaubsauger angeworfen hatte, die aus Magnus’ Vater, dem ehemaligen Klempner, einen reichen Mann gemacht hatten.
Mit ungläubigem Kopfschütteln ließ Alexander seinen Blick durch das protzige Arbeitszimmer schweifen. »Dein Vater leidet ja nicht gerade unter falscher Bescheidenheit.«
»Mein Vater hat ’nen Knall!«, entgegnete Magnus. »Also, wo sollen wir anfangen?«
»Wir sollten zunächst mal gucken, ob wir in irgendwelchen Aktenordnern Unterlagen zu dem Prozess finden, den deine Eltern damals geführt haben. Wenn uns das nicht weiterbringt, können wir uns ja dem Computer deines Vaters zuwenden. Du kennst nicht zufällig das Passwort zu seinem E-Mail-Account?«
»Nee, aber ich hätte da ein paar Ideen. Sehr fantasievoll ist er nämlich nicht gerade.«
Sie gingen ein wenig unschlüssig an den dunkelbraunen raumhohen Holzregalen entlang. Um die oberen Etagen zu erreichen, stand eine Leiter zur Verfügung, die sich, wie in manchen Bibliotheken, an den Regalen entlangschieben ließ. Alexander studierte die Buchrücken der Gesamtausgaben, die offenbar angeschafft worden waren, um möglichst viel Regalplatz einzunehmen: Neben großen Lexikonreihen wie der Encyclopaedia Britannica
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