Nichts für Anfänger - Roman
ohrfeigt mich und schüttelt mich und heult und küsst mich auf die Backe und umarmt mich und brabbelt Jesus dies und Jesus das, und Herr sei mir gnädig und Gott weiß was. Er hält mich eine Ewigkeit in seinen schwitzigen Armen auf dem Alte Socken-Boden und sagt, dass es ihm leidtut und er mich liebt und mir nicht wehtun wollte. Ich will sagen: Laber doch keinen Scheiß, und mich dann noch mit einer schönen Ohrfeige bei ihm bedanken, aber ich kann kaum sprechen und verwende gerade sämtliche Energie darauf, ein paar ordentliche Atemzüge in meine geschundene Kehle zu bekommen.
Ich verliere jegliches Zeitgefühl. Mein Bewusstsein kommt und geht. Ab und zu flackert O’Culigeen auf, der über mir hin und her hastet und unverständliches Zeugs vor sich hin redet.
Jesus Christus, mea culpa, was tun, Stunden der Verzweiflung, hier bin ich, dies ist meine Stunde, Gott hilf mir, was soll ich tun, mea culpa, was tun?
Dann schleift er mich im Zickzackkurs durchs Arbeitszimmer. Als würde er nach einer kleinen Schublade suchen, um mich dort zu verstecken. Irgendwann lässt er los, fällt auf die Knie und fängt an, fieberhaft zu beten. Seine Augenlider sind zusammengekniffen, und seine Hände presst er in einer fiesen Doppelfaust gegen seinen Mund. Er sagt kein einziges Wort, aber ich kann sehen, dass er sich richtig Mühe gibt, weil Tränen aus den Winkeln seiner fest geschlossenen Augen laufen.
Eine ganze Stunde später bin ich wieder auf den Beinen. Besser gesagt sitze ich wieder aufrecht, und zwar in dem roten Ledersessel in der Ecke vom Arbeitszimmer. O’Culigeen hat mir eine Tasse supersüßen Tee gemacht, den er nun meine Speiseröhre runterzwingt, zusammen mit einem ganzen Teller Custard-Cream-Keksen. Er hat ein riesiges wasserfestes Pflaster über den Schnitt in meiner Stirn geklebt, und als es Zeit wird, nach Hause zu gehen, hat er schon mein gesamtes Outfit gewaschen und am Feuer nebenan getrocknet.
Währenddessen sagt er kein Wort mehr, er führt mich einfach durch Zimmer, durch Türen und schließlich zurück zu seinem Auto. Kurz vor Mitternacht setzt er mich zu Hause ab. Als ich ihn gerade verlassen will und die Tür öffne, springt über unseren Köpfen ein Licht an, und er sagt Entschuldigung und verspricht mir, dass so etwas nie wieder geschehen wird. Dann lehnt er sich nach vorne und küsst mich auf die Wange und sagt, wenn ich irgendwem davon erzähle, tot oder lebendig, wird er persönlich dafür sorgen, dass der Zorn Gottes auf mich herniedergeht.
ZWEITER TEIL
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Small Town Boy
D u bist eine Schande! Ein widerlicher Schandfleck!
Das sagt Dad immer und immer wieder. Und bollert zwischen jeder Beleidigung gegen die Tür. Er sagt, dass er nicht weggeht und dass ich genau zwei Möglichkeiten habe. Ich kann jetzt rauskommen und mir ein paar ordentliche Stockschläge abholen. Oder ich kann da drinbleiben und darauf warten, dass für immer und ewig die Hölle über mich hereinbricht.
Natürlich bewege ich mich nicht. Ich trage einen Anzug mit offenem Hemdkragen, der von der Debs-Party gestern Abend schon ziemlich zerknittert ist und auch ein paar Flecken abbekommen hat, und stehe in unserem separaten Klo mit der Blaukehlchentapete. Die meisten in The Rise haben Badezimmer mit einem Klo drin, damit man sich zur selben Zeit am selben Ort waschen und pflegen und allen anderen Körperkram erledigen kann. Dad sagt, dass ihm das auch angeboten wurde, aber dass er dem Architekten aufgetragen hat, das getrennt zu halten, weil er im beinharten Zentrum von Dublin aufgewach sen ist und man dort das Scheißhaus immer außerhalb des Hauses hatte und er sich nichts Schlimmeres vorstellen kann, als sich die Zähne zu putzen und die Haare zu machen, wäh rend ihm der Gestank von einem frischen Haufen in die Nase kriecht. Mam findet das auch und kann tausend Geschichten davon erzählen, wie sie im dörflichen Ballaghaderreen bei schlimmen Unwettern und nächtlichen Schneestürmen zum Außenklo geschossen sind. Sie sagt, dass es ihr beim Gedanken an ein integriertes Klo kalt den Rücken runterläuft. Da kann man ja auch gleich auf den Teppich machen.
Unsere Klozelle ist eng und bietet genau Platz für das Klo, ein paar Rollen Klopapier und ein winziges schachtelartiges Fenster oben drüber, damit der Geruch rauskann. Dad sagt, dass dieses winzige Fenster die einzige konstruktionsmäßige Schwachstelle des Hauses ist, denn obwohl es wunderbar den Gestank von unseren Haufen rauslässt, kann es ebenso gut gewitzte
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