Nichts gegen Engländer
Talent
habe, spiele keine Rolle. »Tschüss, cooles Britannien. Wir sind immer noch eine
Nation von fröhlichen Exzentrikern, denen alles andere schnuppe ist.«
Einige
nahmen nur teil, weil ihre Mütter sie heimlich angemeldet hatten. Der
80-jährige Stepptänzer vielleicht? Oder doch eher die sechsjährige Connie
Talbot, die »Somewhere Over The Rainbow« sang, oder die elfjährige Bessie
Cursons, die mit einem Volkslied auftrat? Vorsichtshalber warf man den
Stimmenimitator Richard Bates vorher hinaus, weil er wegen Kindesmissbrauchs
eingesessen hatte.
Höhepunkt
war eine Gruppe von älteren Herren in Ballettröckchen auf Einrädern. Cowell bescheinigte
ihnen, dass er noch nie etwas so schlechtes gesehen habe. Die
Ballettröckchenträger waren hoch erfreut. »Unsere Vorliebe für das Versagen
lauert immer noch unter unserer neumodischen Besessenheit mit pseudoamerikanischem
Erfolg«, befand der Telegraph. Das Blatt hat recht: Die Show lockte zehn Millionen
Zuschauer vor den Bildschirm.
Im
Finale gewann der Waliser Paul Potts mit Opernarien. Jetzt darf er vor der Queen
bei der »Royal Variety Show« singen, er hat einen Scheck über 100.000 Pfund und
einen Plattenvertrag in der Tasche. Der 36-jährige Handy-Verkäufer träumte von
der Oper, seit er acht Jahre zuvor als Pavarotti verkleidet an einem
Karaoke-Wettbewerb teilnahm und Letzter wurde. Der Mann sei eigentlich der
geborene Verlierer, stellte der Telegraph anerkennend fest: Nachdem
er 20.000 Pfund ausgegeben hatte, um Gesangsunterricht zu nehmen, musste er
sich den Blinddarm herausnehmen lassen. Dabei entdeckten die Ärzte einen
Tumor. Kaum war er von der Operation genesen, brach er sich das Schlüsselbein.
Insgesamt verbrachte er zwei Jahre im Bett. Der Guardian entgegnete empört, dass
Potts gar kein Loser sei: Er saß jahrelang für die Liberalen Demokraten im
Stadtrat. Wo ist da der Widerspruch?
Wenn
die Anti-Superstar-Show nicht läuft, sitzt der Brite aber am Computer, und zwar
durchschnittlich 164 Minuten täglich, während er nur noch 148 Minuten
fernsieht. Dabei entgehen ihm solche Perlen wie die »Antiques Roadshow«, die
seit einem Vierteljahrhundert jeden Sonntagabend ausgestrahlt wird. Es gibt auf
der ganzen Welt vermutlich keine Sendung, die mehr nach Verwesung riecht, weil
darin nur Tote-Oma-Antiquitäten vorkommen, die sich kein normaler Mensch unter
90 in die Wohnung stellen würde.
»Stellen
sie sich das Schlafzimmer einer verstorbenen alten Dame vor«, schrieb eine
Zeitung gehässig. »Es ist angefüllt mit dunkelbraunen Möbeln und deprimierenden
Gemälden viktorianischer Amateure, in der Ecke ein Schaukelstuhl, auf dem Bett
ein Steiff-Teddybär. Auf dem Regal über dem Kamin liegt ein Elefantentöter aus
Mahagoni und ein Brief von Beatrix Potter. Entweder sitzt unten Norman Bates,
oder sie haben die >Antiques Roadshow< eingeschaltet.«
Die
versnobte Sendung, die Verachtung für alles Moderne - also später als 19.
Jahrhundert - ausströmt, wird jedes Mal aus einem anderen Winkel des
Vereinigten Königreichs übertragen, damit die Verwandten der verstorbenen alten
Ladys den geerbten Plunder ins provisorische Studio tragen können - in der
Hoffnung, dass sich darunter irgendetwas befindet, das vielleicht doch nicht in
die Mülltonne gehört. Wenn die ebenso antiken Experten, meist längst
pensionierte Antiquitätenhändler mit steifem Kragen und Fliege, einem
Gegenstand bescheinigen, dass er ein Stück Sozialgeschichte sei, bei dem man
unmöglich über den finanziellen Wert sprechen könne, sieht man dem enttäuschten
Eigentümer an, dass er genau darüber gerne gesprochen hätte. Meistens lügt er
dann, dass er sich von dem guten Stück ohnehin nie trennen würde.
Die
»Antiques Roadshow« hat sogar eine eigene Internetseite, was ziemlich absurd
ist. Es wäre das gleiche, wenn sich ein Fahrradclub eine Tankstelle zulegte.
Wer sich für die auf der Seite vorgestellten vergammelten Teddybären und verbeulten
Teekessel interessiert, hat garantiert keinen Internetzugang. Die Behauptung
des Guardian, dass
die BBC den Experten und dem Publikum Gehhilfen und Rollstühle für die Dauer
der Sendung leiht, wurde vom Sender allerdings dementiert. In wenigen Jahren
steht die »Antiques Roadshow« ohne Publikum da, denn dann wird das Analogsignal
abgeschaltet. Und das fossile Zielpublikum verfügt laut einer Untersuchung nun
mal lediglich über Analogfernseher. Vielleicht können die Leute ja zur letzten
Sendung diese Fernseher und die
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