Nichts gegen Engländer
Bonham-Carter, murmelte etwas von »den Lehren von Los Angeles«
und ließ sich wieder in den Sessel plumpsen, wobei er fatal an den bebrillten
Alten aus der »Muppet Show« erinnerte.
Seine
geriatrischen Kollegen brüteten minutenlang über den kryptischen Hinweis
Bonham-Carters, bis sie von Baronin Hollis aus ihren Gedanken gerissen wurden.
Die Baronin ist sozusagen das Küken des Altersheims: Sie ist unter 60 und kann
mühelos zwei zusammenhängende Sätze formulieren, die sie hin und wieder gar mit
einem Relativsatz garniert. Unglücklicherweise hält ihre Geisteskraft nicht mit
ihrem rhetorischen Geschick mit. »Die Situation in den Innenstädten ist schlimm
und wird immer schlimmer«, plapperte sie vor sich hin.
Die
Situation im Oberhaus wurde ebenfalls immer schlimmer: Lord Beaumont aus der
Grafschaft Surrey im vornehmen Süden Englands ergriff das Wort. »Ich schaffe
es nicht, von meinem Haus an diesen Ort zu gelangen, ohne Geld an Bettler
loszuwerden«, stöhnte er, bevor er einräumte, dass das auch eine positive
Seite habe: »Wenigstens ist es gut für meine Seele.« Die Bettler Londons werden
es mit Freude vernehmen und alles daransetzen, um dem alten Herrn zu seinem
Seelenfrieden zu verhelfen.
Der
aufregendste Diskussionsbeitrag des Tages kam von Baronin Seear. Sie rappelte
sich erstaunlich behende aus ihrem Sitz auf und schrie: »Es ist doch
unheimlich aufregend, einen Bruch zu machen!« Was hat die alte Dame bloß in
ihrer Jugend getrieben? Mit ihren 79 Jahren kann sie sich jedenfalls wohl kaum
noch an Regenrinnen hochhangeln. Bevor ihren Kollegen die Restphantasie
durchging, erklärte ihnen die Baronin jedoch, dass sie lediglich auf die
Langeweile hinweisen wollte, die Jugendliche ins Verbrechen treibe.
Glücklicherweise
waren im Oberhaus keine Jugendlichen anwesend - sie wären angesichts der
senilen Debatte unweigerlich ins Verbrechen getrieben worden. Wer hat
eigentlich die Phrase von der Altersweisheit erfunden? Es kann niemand gewesen
sein, der jemals einer Oberhausdebatte beigewohnt hat.
Milchmänner sind das Böse schlechthin
Der Engländer und seine Richter
In
keinem anderen Land ist das Netz der Überwachungskameras so dicht wie in
Großbritannien. Seitdem zwei Zehnjährige 1993 in Liverpool mit Hilfe solcher
Kameras des Mordes an einem Dreijährigen überführt werden konnten, nutzt Big
Brother Innenminister das als Argument für immer umfassendere Schnüffelei. Zwar
konnten die Anschläge auf drei Londoner U-Bahnen und einen Bus 2005 nicht
verhindert werden, aber wenigstens konnte die Nation die vier Täter danach mit
Hilfe des Filmmaterials aus Überwachungskameras gebannt auf ihrer tödlichen
Reise begleiten.
In
Middlesbrough ist man einen Schritt weiter gegangen: Sieben von 158 Kameras in
der Innenstadt sind mit Lautsprechern ausgerüstet worden. Falls das Experiment
erfolgreich ist, soll es auf die Wohnviertel ausgedehnt werden. Jack Bonner,
der das Experiment leitet, ist jetzt schon begeistert. »Das ist eine höllische
Abschreckung«, sagt er. »Wenn diese Kamera laut und deutlich ausposaunt, was
man gerade falsch gemacht hat, schämen sich die meisten Leute so sehr, dass sie
sich schleunigst verdrücken und keinen Ärger mehr machen.«
Die
Kameras werden von einem Kontrollzentrum im Busbahnhof der Stadt bedient.
Entdecken die Mitarbeiter, dass jemand Müll wegwirft, in einer alkoholfreien
Zone auf offener Straße Schnaps trinkt oder einen Joint anzündet, weisen sie
ihn höflich, aber bestimmt auf sein Fehlverhalten hin. Die Mitarbeiter mussten
Schulungskurse absolvieren, wo ihnen LautsprecherkameraEtikette beigebracht
wurden. »Wenn der Täter kooperiert, bedanken wir uns artig«, sagt Bonner. Also
ungefähr so: »Würde der maskierte Herr bitte erwägen, der Lady ihre Geldbörse
zurückzugeben?« Danke sehr.
Eines
Abends sei es vor einem Nachtklub zu einer Schlägerei gekommen, sagt Bonner.
Als die Stimme aus der Kamera die beiden Herren bat, sofort damit aufzuhören,
machten sie sich verdutzt aus dem Staub - und setzten ihre Prügelei vermutlich
außer Sichtweite fort. Einen Radfahrer ermahnte die Kamera: »Würde der junge
Mann auf dem Fahrrad bitte absteigen, da er gerade in einer Fußgängerzone
radelt?« Der junge Mann fiel vor Schreck vom Rad.
Die
Mitarbeiter können aber auch hilfsbereit sein. Ein Inder, der eine Tüte
verloren hatte, wurde per Lautsprecher darauf hingewiesen, dass er seinen
Elefantenfußteller aufheben solle. »Sonst hätte der arme
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